Die große Welle machen
Durch die Blogosphäre schwappt ja gerade die große Welle der Begeisterung (und bei einigen auch der Ablehnung) zum Thema Google Wave. Als vor einigen Wochen das Video im Netz die Runde machte, auf der Google sein neues Baby vorstellte, habe ich mir das Ganze natürlich auch angesehen. Allerdings hielt sich meine Begeisterung doch sehr im Rahmen. Möglich, daß es an der Überlänge der Präsentation lag, möglich, daß ich den Witz einfach noch nicht verstanden habe. Ging mir beim Thema Blogging ja am Anfang auch so. Damals dachte ich “Blogs sind doch nur kastrierte Content-Management-Systeme. Wo ist der Witz?” Manchmal braucht es eben ein bischen, ehe der Groschen fällt.
Der Dienst befindet sich zur Zeit noch in einer halb öffentlichen Beta-Phase, d.h. man braucht eine Einladung um ihn ausprobieren zu können. Letzte Woche bekam ich dann eine Einladung und ich konnte einen ersten Eindruck auf der Basis eigener Erfahrungen gewinnen. Mehr als ein erster Eindruck ist aber nicht drin, weil ich selber niemanden Einladen kann. Und ein Kommunikationstool, in dem man nur einen Kontakt hat, ist ziemlich witzlos. Klas (compuccino) hat das gestern in einem Tweet sehr schön auf den Punkt gebracht:
“#wave ist wie ein Club … keiner kommt rein, und drinnen ist auch nix los. Aber die Einrichtung ist echt stylisch.“
Dennoch: mein Eindruck entspricht so ungefähr dem, was ich nach dem Betrachten des Videos dachte: Momentan gehe ich nicht davon aus, daß dieser Dienst für mich wichtig wird. Google versucht, verschiedene Nachrichtendienste miteinander zu verzahnen, was ich im Prinzip als sinnvoll erachte. Daß die E-Mail dringend einen Nachfolger braucht, sehe ich genau so. Dennoch finde ich Google Wave eher uninteressant. Und zwar aus folgenden Gründen:
- Es werden zentrale Features eingebaut, die technisch spannend sind, die ich als User aber nicht benötige oder sogar bewusst nicht haben möchte.
- Dafür fehlen wichtige Dinge, die ich bei einem E-Mail Nachfolger unbedingt sehen will.
- Die Benutzeroberfläche ist zwar klar strukturiert, dennoch ist die ganze Usability eher verwirrend. Und das liegt am Prinzip.
Ein Feature, welches ich technisch spannend finde, aber eigentlich als Anwender gar nicht haben will ist, daß der angeschriebene sofort sieht, was ich schreibe. Und mit “sofort” meine ich, noch während ich schreibe. Es ist schon reichlich verwirrend, bereits eine Antwort zu bekommen, während man noch dabei ist, den Satz zu Ende zu schreiben. Man sieht jeden Tastendruck, jeden Tippfehler, jede Korrektur wenn das Gegenüber einen Satz nochmal löscht oder umformuliert.
Das mag ich nicht.
Ich möchte wenigstens die Möglichkeit haben, das Geschreibene noch mal Korrektur zu lesen, zu überdenken, umzuformulieren oder ggf. in den den virtuellen Mülleimer zu werfen. Wenn alle Mails und Postings, die ich in den letzten 15 Jahren geschrieben habe sofort gelesen worden wären, hätte ich heute vermutlich etliche Freunde weniger. ;-)
Was ich hingegen bei der E-Mail vermisse und bei Wave auch nicht sehe (vielleicht ist es da, aber ich sehe es nicht), ist die Sicherheit, wirklich von der richtigen Person angeschrieben worden zu sein – Stichwort Spam.
Vertraulichkeit ist bei einem Google-Dienst natürlicher völlig ausgeschlossen. Ein für berufliche Zwecke ernstzunehmender Dienst muss aber m.E. hohe Hürden gegen Abhören bieten.
Bei einem neuen Dienst ist es m.E. auch absolut notwendig, gleich auch ein Interface für mobile Endgeräte einzubauen. Ich kann aber nicht recht vorstellen, wie Wave auf einem Handy oder Smartphone funktionieren soll.
Zudem befürchte ich, daß bei längeren Diskussionen, mit mehreren Teilnehmern, File-Attachments usw. ein Wave so ausufert und unübersichtlich wird, daß man sich nicht mehr zurechtfindet. Das liegt natürlich am Prinzip.
Ich glaube, daß wir in nächster Zeit noch so einige neue Messaging-Lösungen sehen werden. Ich glaube auch, daß die Tage der E-Mail so langsam gezählt sind. Wave ist ein interessanter Ansatz – aber der große Wurf ist es noch nicht. Aber das sind natürlich nur meine Einwände. Wenn in drei Jahren alle bei Wave sind, werde ich es natürlich auch nutzen (müssen). Genauso, wie ich mich drei Jahre gegen Facebook gewehrt habe.
Wir werden sehen.