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Internet – Das Ende der Offenheit und Gleichheit?

Seit langem befürchte ich, daß die Offenheit des Internets bald der Vergangenheit angehören wird. Das liegt vor allem daran, daß es heutzutage von anderen Menschen und für andere Zwecke genutzt wird, als es ursprünglich gedacht war. Den großen Boom vor der Öffnung für die Allgemeinheit Mitte der 90er hat das Internet als internationales Austauschmedium für Wissenschaftler erlebt.

Niemand hat bei der Entwicklung von E-Mail an das Problem Spam oder an Identitätsdiebstahl gedacht. Jeder konnte und durfte jedem beliebigen anderen eine Mail schicken. Jeder konnte per Usenet an allen beliebigen Diskussionen teilnehmen. Die Grundidee des WWW war, daß alle Beteiligten gleichberechtigt Forschungsergebnisse veröffentlichen konnten. Niemand hat an Copyrightprobleme oder auf den Kopf gestellte Verwertungsketten von Medienunternehmen gedacht – wozu auch? Alle Dienste basierten auf der Grundidee von Gleichheit, Offenheit und freiem Austausch.

Starke Interessengruppen gegen Offenheit und Gleichheit

Nun, da das Internet zum Massenmedium geworden ist, ist das zugrundeliegende Prinzip der Offenheit und Gleichheit sehr vielen einflussreichen Gruppen ein Dorn im Auge. Viele betrachten den Siegeszug des Internet sogar als gefährliche Fehlentwicklung – was im Grunde schon viel über der Zustand unserer Demokratie sagt.

Das Prinzip der Gleichheit bedroht beispielsweise Medienkonzerne in ihrer Existenz. Jeder, der möchte, kann heutzutage veröffentlichen. Sicher hat Spiegel Online wesentlich mehr Leser als Herr Ollmetzer und ist wirtschaftlich auch recht erfolgreich, aber der Nimbus des Qualitätsjournalismus ist flöten und es steht ein mediales Massensterben an. Die Einzigen die noch an “Qualitätsjournalismus” und Meinungsmacht glauben, sind ältere Herrschaften im Medienbereich, die sich selbst fälschlicherweise noch als eine Art Elite (in welcher Beziehung auch immer) wahrnehmen. Blöd bloss, daß das breite Teile der Bevölkerung mittlerweile anders beurteilen. Das Ergebnis ist schwindender Einfluss auf die öffentliche Meinung und das Wegbrechen der Einnahmen in erheblichem Ausmass.

Der Beispiele gibt es viele, man kann es aber auch kurz so zusammenfassen: Die bisherige Führungsschicht aus Politikern, Wirtschaftsleuten und Medienunternehmen sieht ihren Einfluss und damit ihre Existenzberechtigung in Frage gestellt. Genau aus diesem Grund wird auf allen erdenklichen Ebenen versucht, die Grundprinzipien des Internet zu diskreditieren (Berichterstattung zu “Kinderporno”, Terroristen etc.) aufzuweichen (u.a. Rechtsprechung zu Störerhaftung), zu demontieren (Netzsperren, Verletzung der Netzneutralität) oder schlicht zu illegalisieren (Radikalisierung des Urheberrechts).

Neu – Nutzer weniger an Offenheit und Gleichheit interessiert

Diese Tendenzen sind schädlich, demokratiefeindlich und nicht neu, obwohl die Schärfe der Angriffe immer mehr zunimmt. Neu ist in meinen Augen aber, daß sich auch immer mehr Nutzer freiwillig von den Vorzügen des offenen Netzes verabschieden. Und das gibt mir wirklich zu denken. Immer mehr Nutzer lassen sich freiwillig von den neuen großen Medienkonzernen einwickeln und geben freiwillig immer mehr Rechte ab. Die Gründe sind nach meiner Beobachtung Gedankenlosigkeit, Geiz und Bequemlichkeit.

Google Mail ist z.B. ein Dienst, der von vielen sehr gerne genutzt wird. Er ist kostenlos und sehr bequem zu nutzen. Leider behält sich Google das Recht vor, alle Briefe mitzulesen. In meine Augen ein K.O.-Kriterium – eon absolutes No-Go. Aber Millionen Menschen scheint das völlig schnuppe zu sein. Meine Mails auf meinem eigenen Server kann Google zumindest nicht mitlesen (die Telcos und Ermittlungsbehörden können es – aber das ist eine andere Baustelle).
Aber viele junge Leute nutzen Mails ohnehin nicht mehr. Entweder Chatten sie, oder sie schreiben sich Nachrichten nur noch innerhalb geschlossener Communities, wie Facebook.

Gleichzeitig kommen Entwicklungen, die dem engegenwirken sollen (offene Chatsysteme, wie Jabber, Mashups, OpenId, übertragbare Nutzerprofile, etc.) in der breiten Masse überhaupt nicht an, weil hier scheinbar gar kein Bedürfnis verspürt wird. Was man hier erlebt, ist ein Rollback – von geschlossenen Systemen, wie BTX und Compuserve über offenes Internet wieder zurück zu geschlossenen System, die die Kommunikation einfangen und kontrollieren können.

Noch neuer – selbst ich denke über geschlossene Systeme nach

Aber selbst mir wird das mit der Offenheit mittlerweile zu viel. Obwohl ich ja scheinbar ein gewisses Sendungsbedürfnis habe (sonst würde ich nicht bloggen), möchte ich nicht, daß jeder alles von mir mitbekommt oder mich einfach ungefragt jeder kontaktieren kann.

Problemfall E-Mail: Ich hatte vor einiger Zeit eine kleine Statistik erstellt. 97,5% aller E-Mails die ich bekomme sind Spam. Selbst mit Filtern kommt noch so viel Müll durch, daß ich pro Tag mindestens 10-20 Minuten Mails ausmisten muss. Das offene System E-Mail ist daher in meinen Augen zunehmend unbrauchbar. Allein – ich habe noch keine echte Alternative dazu.

Problemfall Twitter: Twitter fand ich eine Zeit lang recht lustig – solange man unter normalen Menschen war. Findet man jemanden interessant, hört man dessen Gezwitscher zu, ansonsten eben nicht.
In letzter Zeit nutzen aber immer mehr Firmen twitter. Die Ungeschickteren versuchen Zuhörer für ihre Werbebotschaften zu finden. Das kann man leicht ignorieren. Die Geschickteren haben aber erkannt, daß man bei Twitter vor allem zuhören muss – und das tun sie. Kaum habe ich eine Nachricht geschrieben, schon habe ich neue Follower, weil sie auf ein bestimmtes Schlüsselwort reagieren. Das Paradebeispiel von heute: Ich schreibe (für meine handvoll echter Follower), daß ich beim Augenarzt war, schon habe ich einen Kontaktlinsenversand als Follower. Andere Beispiel dafür sind: Otto, Kaufland, Discount24, Welt Online, und etliche zwielichtige Accounts. Klar kann ich die Blocken, aber ich will das einfach nicht mehr. Es nervt!
Twitter steht daher bei mir schon wieder auf der Abschussliste.

Gesucht: Kontrollierte Offenheit bzw. Microcommunities

Was ich vermisse sind Dienste, die vor allem mir und meinen Freunden (Geschäftspartnern, Vereinsmitgliedern, oder sonstigen Kontakten) offen stehen – Microcommunities sozusagen. Leider hat sich gezeigt, daß diese i.d.R. nicht lange überlebensfähig, weil die Masse eben zu klein ist und der Austausch irgendwann stagniert. Zudem ergibt sich ein Problem mit der Abgrenzung. Nehmen wir an, man ist in mehereren Communities Mitglied (z.B. Ehemalige Absolventen, der Ruderverein, eine Elterncommunity und zwei- oder drei Berufs- und fachspezifische Dienste). Dann müsste man sich regelmäßig in 5 oder 6 verschiedene Syteme einloggen und nach Neuigkeiten suchen. Zudem wäre kein direkter Austausch zwischen Mitgliedern verschiedener Communities möglich.

Diese beiden Nachteile von Microcommunities sind die Vorteile für Facebook und co. Es ist ja ohnehin schon fast jeder dort – also meldet man sich auch schnell an, sucht seine Kontakte zusammen und gut ists. Bloß füttert man damit leider wieder den Datenkraken.

Mögliche Lösungsansätze

Seit einiger Zeit spukt mir die Idee von vernetzten Microcommunities im Kopf herum. Jede kleine Interessengruppe sollte selbst ein solches System aufsetzen können. Das muss so leicht gehen, wie einen Blog einzurichten. Also entweder eine Websoftware á la WordPress auf einen Standardaccount aufsetzen oder bei einem Dienstleister á la blogger.com oder wordpress.com anmelden.
Der entscheidende Erfolgsfaktor wäre dann, daß man mit demselben Account auch andere entsprechende Microcommunities nutzen kann. Das Ganze ist also primär eine Frage der Schnittstellen und einer schmucken, einfachen Webanwendung.

Feedback dazu ist natürlich ausdrücklich erwünscht ;-)