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Der Wert der Musik

Medienfirmen klagen und kämpfen verzweifelt gegen die “Kostenloskultur”, gegen “geistigen Diebstahl” und ähnlich abstruse Entwicklungen. Ich bezweifele, daß Sie mit dieser Einstellung eine Zukunft haben werden, weil sie die wahre Ursachen für die dramatischen Umsatzeinbrüche nicht verstehen. Das ist nicht etwa eine “sorglose”, “kriminelle” oder “asoziale” Haltung ihrer bisherigen Kunden, sondern schlichtweg das Resultat eines extrem verschärften Wettbewerbs, den das Internet möglich gemacht hat.

Die neuen ökonomischen Rahmenbedingen senken die Distributions und Erstellungskosten auf einen Betrag nahe Null. Dazu kommt, daß die Kunden nun auch offensichtlich den Wert der digitalen Güter ähnlich einschätzen und kaum bereit sind, für Nachrichten, Musik oder Software zu bezahlen. Diesen Mechanismus kennt eigentlich jeder Mensch, der nicht gerade im Kommunismus lebt – er nennt sich Markt.

Es schmerzt natürlich jeden, wenn plötzlich die eigene Arbeit, die einen bisher gut ernährt hat plötzlich auf dem Markt nicht mehr absetzbar ist. Bloß, weshalb sollte für Medienunternehmen nicht gelten, was für Bergleute oder Fabrikarbeiter in den letzten Jahrzehnten gegolten hat?

Eines ist mir in den letzten Wochen am Beispiel Musik klargeworden: Es ist nicht nur der Marktpreis gesunken, sondern auch die Bedeutung für den Konsumenten.

Auf Arte lief der “Summer of the 80s”. Es wurden an mehreren Abenden wirklich grossartige Musiker gezeigt und interessante Hintergrundinfos geliefert. Rock war zu Begin wild und spannend, bis die Musikindustrie die große Vermarktung übernommen hat. Dann kam Punk. Danach die New Wave und Elektronikszene der späten 70er und fürhen 80er, selbst die Neue Deutsche Welle war erfrischend anders und interessant, bis die Major Companies das Pferd innerhalb von einem Jahr totritten, die Zuhörer mit Banalitäten beleidigten und eine ganze musikalische Bewegung Lächerlich machten. Bei mir verfestigt sich der Eindruck, daß immer dann interessante neue Musik entsteht, wenn die Plattenindustrie aussen vor ist.

Zudem – Musik hat keinen monetären Wert.

Johnny Häusler schrieb neulich, er hätte noch nie für Musik bezahlt – und damit recht. Er hat für Tonträger bezahlt oder für die Möglichkeit, Musik live zu erleben. Man bezahlt also für das Gefühl, bzw. das Zugänglichmachen.

Zum Thema Gefühl: Als ich mir die ganzen Sachen aus den 70er und 80er wieder anhörte (und damit meine ich nicht Mainstram Müll wie Phil Collins oder so) dann erscheint mir sehr viel Musik von damals immer noch interessant und frisch. Auf jeden Fall war sie damals neu und relevant, weil sie wichtige gesellschaftliche Veränderungen aufnahm (Punk, Ska, Elektronik,…) und reflektierte. Das alles kam in völlig neuen Stilrichtungen, mit vorher ungehörten Sounds und Beats.

Das alles sehe ich spätestens seit den 90er Jahren eigentlich nicht mehr. Es gab sicherlich hier und da noch den Einen oder Anderen guten Song, aber irgendwie ist die Relevanz verloren gegangen. Warum denke ich so? Weil ich mit 41 Jahren ein alter Sack bin?

Damals war Musik politisch. Sie hatte eine Aussage. Die richtige Musik zu hören gehörte zum eigenen Lifestyle dazu. Man definierte sich darüber. Ich erinnere mich an das Entsetzen unserer durchaus noch recht jungen, grün-alternativen Klassenlehrerein, als wir auf einer Klassenfahrt so richtig nach “Der Mussolini” von DAF abgingen. Sie dachte wohl, wir wären alle zu Nazi-Zombies mutiert. Sorry Barbara, Du hast das damals einfach nicht kapiert. Das war unsere Abgrenzung gegenüber den ganzen Müslis, wie wir die Grünen damals nannten.

Musik hatte einmal einen hohen Stellenwert – heute ist es eigentlich nur noch ein ständiges Hintergrundgeräusch. Muzak – Fahrstuhlmusik, die Ohren und Gehirne verklebt.

Zudem hörte man Musik auch anders. Bewusster und konzentrierter. Musik war noch nicht überall. Man musste sich kümmern, um überhaupt interessante Sachen zu entdecken. Dann konnte man die spannenden Platten auch längst nicht einfach überall kaufen. Und wenn man das gute Stück dann endlich ergattert hatte, kam das Ritual des Schallplattenauflegens. Mit dem Kopfhörer vor der Stereoanlage sitzen und beim Hören das (große) Cover betrachten oder sogar Songtexte mitlesen. Das ist etwas gänzlich anderes, als 10.000 Songs auf dem iPod mit sich rumzutragen.

Andererseits ist natürlich auch nicht alles schlecht: Ich mag iTunes. Den einen Euro pro Song bezahle ich übrigens auch nicht für die Musik an sich, sondern für den Komfort. Allerdings frage ich mich schon, was es eigentlich über mich aussagt, wenn ich mir hintereinander die folgenden vier Stücke bei iTunes gekauft habe?

– Yello – bostich
– The Normal – warm leatherette
– Peaches – Talk to me
– Jürgen Marcus – Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben

Aber das steht dann wieder auf einem ganz anderen Blatt.