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Web Engineering Unconference 2024

In diesem Jahr habe ich wieder die Web Engineering Unconference besucht, die vom 20. bis zum 22. September in Palma de Mallorca stattfand. Mittlerweile eine lieb gewonnenen Gewohnheit und auch dieses Mal waren die Vorträge, Diskussionen und Gespräche interessant und anregend.

Blick über Palma – einige Wolken und viel Sonne

Das ist umso schöner, weil Anfang des Jahres durchaus dunkle Wolken am Veranstaltungshimmel zu sehen waren. Das eingespielte Orga Team der letzten Jahre hatte aufgehört. Das neue Team musste sich erst finden, weshalb die Ankündigung recht spät kam. Zwischenzeitlich waren Flug- und Hotelpreise ordentlich gestiegen und das alles in einem wirtschaftliche schwierigeren Umfeld.

Erfreulicherweise wurden trotz der halbierten Teilnehmerzahl auch dieses Mal wieder viele interessante Themen präsentiert. Die informellen Gespräche jenseits der eigentlichen Konferenz waren anregend und vielschichtig.

Teilnehmer bei der Themenfindung

Das kommt sicherlich auch daher, dass dieses kleine, aber feine Branchentreffen keine herkömmliche Konferenz ist sondern eine Unkonferenz. Hier wird nicht zwischen Zuhörern und Vortragenden unterschieden, sondern jeder kann seine eigenen Themen mitbringen und vorstellen. Alle zusammen stimmen dann ab, welche Themen angenommen werden.

Das kann auch recht spontan sein. Einen eigenen Vortrag hatte ich dieses Mal nicht vorbereitet. Mir ging aber seit längerem ein Thema durch den Kopf, das ich nicht so recht zu fassen bekam. Am Vorabend habe ich das einigen Leuten gegenüber erwähnt und die Reaktion war immer “Mensch, das ist doch relevant und spannend – mach was dazu!”

Das Thema ist ständig steigende Komplexität.

Genauer die Frage, weshalb wir dazu tendieren, Systeme immer komplexer zu machen, bis sie nicht mehr richtig funktionieren oder aktualisert werden können. Konkreter Anlass war das Refactoring einer umfangreichen Software, aber das Problem ist nicht technisch, sondern eher universell.

Die üblichen Ansätze, steigende Komplexität in den Griff zu bekommen, laufen darauf hinaus, neue Werkzeuge und Verfahren zu etablieren, um die Komplexität zu managen. Leider wird das Problem dadurch nicht gelöst, sondern nur verschoben und die Gesamtkomplexität steigt duch die neuen Tools sogar noch weiter an.

Oft wäre es besser, stattdessen die Komplexität zu reduzieren, aber diese Weg wird fast nie gegangen. Mich interessierte die Frage, weshalb das so ist. Zumal das kein technisches Problem ist. Wir sehen dieselben Muster bei allen möglichen Organisation in der Wirtschaft und auf staatlicher Seite.

Session “Komplexität” mit Julia und Dirk (Foto von Maria Adler)

Ich hatte also Szenarien und Fragen mitgebracht. Passenderweise hatte Julia Dorandt (Beratung Judith Andresen) einen Vortrag vorbereitet, in dem sie Strategien vorstellte, die Individuen nutzen, um in einem komplexen System handlungsfähig zu bleiben. Stichwort “fight flight freeze fawn“.
Wir haben also zusammen einen Slot genutzt, in dem ich einleitend die Fragestellung aufgeworfen habe und Julia anschließend die Theorien aus der Verhaltenspsychologie erläutert hat.

Für das Thema haben wir viel positives Feedback bekommen. Ich konnte jedoch leider keine konkreten Handlungsempfehlungen ableiten. Als ich in der darauf folgenden Woche in meiner Firma davon erzählte, wurde das Thema aufmerksam aufgenommen und ich bekam einige gute Hinweise auf Quellen zu dem Thema.

Weitere weiche Themen auf der WEUC waren Neurodiversität, “Talking to people” und Kommunikation in schwierigen Organisationsstrukturen.

Technische Vorträge gab es natürlich auch.

Alexander M. Turek hielt einen Vortrag zu “Strict PHP”. Was bedeutet das, wozu ist es gut und weshalb es nicht reicht, das einfach im Programm zu deklarieren.

Rainer Schuppe (Oberservability Heroes) stellte Open Telemetry vor – ein Framework zur Erfassung von Messdaten. Er demonstrierte Einsatzzwecke und Möglichkeiten zur Datenauswertung.

Und natürlich gab es auch in diesem Jahr wieder einige Slots zum Thema “Künstliche Intelligenz”. Während KI in den vergangenen zwei Jahren eher als enormes Potential gesehen wurde, nimmt nun die tatsächliche Nutzung sprunghaft zu. Beispiele:

  • Automatisierte Websiteanalyse
  • Suche in und Zusammenfassung von großen Dokumentensammlungen
  • Unterstützung beim Programmieren und Einsatz bei personaliserter Akquise.
  • Automatische Erstellung von “best of presentation” Videos. Der Teilnehmer kommentierte das so: “Das Ergebnis sind so eine Art TikTok Videoschnipsel von unseren Vorträgen.”

Bei generativer KI zur Erzeugung von Bildern und Videos sind die enormen Verbesserungen der letzten zwei Jahre augenfällig, aber es gibt noch immer zu viele eigentümlichen Artefakte. Dennoch wurde gerade die Zusammenarbeit von Runway (AI basierte generierung von Videos) mit der Filmproduktionsfirma Lionsgate bekanntgegeben.

Joschua Ziethen (Yet Another Agency) zeigte interessante Beispiele zum Einsatz von KI Toolchains mit Hilfe von make.com. Zudem hat mich der Bastian Hofmann (Qdrant) zum Thema Vektordatenbanken sehr angesprochen.

Trotz des reduzierten Umfangs gab es also auch in diesem Jahr wieder reichlich spannenden fachlichen Austausch. Ein Teilnehmer meinte sogar, dass er es gut fand, dass wir in diesem Jahr nur zwei, anstelle von drei parallelen Tracks hatten, weil man so weniger verpasst.

Nur zwei anstelle von drei parallelen Tracks – aber interessante Themen

Es gibt also viel Positives zu berichten. Dennoch haben mir aber viele von meinen Buddies aus der E-Commerce Szene gefehlt. Ohne Marco, Lars, Fabian oder Thomas ist es nicht so ganz dasselbe. Andererseits habe ich darum bei der Abendgestaltung nicht über die Stränge geschlagen. Das ist dann wiederum ganz gut für die Gesundheit des alten Mannes.

Hat die WEUC noch Zukunft?

Die Diskussion, ob wir die Veranstaltung im nächsten Jahr weiterführen sollen, wurde einstimmig bejaht. Wir waren uns auch einig, dass 50 Teilnehmer die Untergrenze sind und wir eher wieder auf 75 bis 90 kommen sollten.

Diese zusätzlichen Teilnehmer wollen wir vozugsweise in anderen Branchen als e-commerce und außerhalb von Deutschland finden, um die Diversität an Themen und Sichtweisen zu fördern. Denn trotz Englisch als Konferenzsprache wurde der Anspruch, eine internationale Konferenz zu sein, in diesem Jahr nur knapp erreicht.

Bei der Frage, ob es wieder Mallorca sein muss, gab es unterschiedliche Meinungen. Mir selbst ist das nicht so wichtig (“Meinetwegen Kassel oder Bielefeld”), so lange sich eine gute Mischung aus Teilnehmern und Themen findet. Die überwiegende Mehrheit fand jedoch, dass die entspannte Atmosphäre und das Ambiente zum Erfolg der Veranstaltung beiträgt.

Da ist etwas dran. Das Besondere, weshalb ich jedes Jahr gerne wieder teilnehme ist die Offenheit, mit der hier Herausforderungen und Lösungsansätze besprochen werden. Im Gegensatz zu anderen Konferenzen, steht hier nicht Verkauf und Selbstdarstellung im Vordergrund, sondern ehrlicher Gedankenaustausch.

Zum Ende der Veranstaltung ein Zeichen zu setzen, sagte eine Sponsorin bereits die Unterstützung für 2025 zu. Nun ist es an uns, den längeren zeitlichen Vorlauf für eine gute Organisation und Medienarbeit zu nutzen.

Auf dass die Web Engineering Unconference 2025 wieder interessant, spanned und lehrreich wird.