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Umbruch und Realitätsflucht

Stichwort Zeitungen und andere alte Medien: In dem Artikel “Von der Unfähigkeit zu lernen” auf Netzwertig.com zeigt Marcel Weiss wenig Verständnis und Mitgefühl für die alten Medien, die gerade von derben Umsatzeinbrüchen gebeutelt werden. Und womit? Mit Recht!

Der langsame Untergang der baumverarbeitenden Medien

Für aussenstehende Beobachter ist es recht schwer nachzuvollziehen, wie die direkt betroffenen Verleger und Journalisten seit langem nicht verstehen wollen, daß das, was sie bisher gemacht haben in der Zukunft nicht mehr funktionieren wird. Wie sie sich von Veränderungen überrumpelt fühlen, die seit fast 15 Jahren offensichtlich sind. Marcel Weiss zitiert dazu den grandiosen Clay Shirky, der in seinem Artikel “The Newspaper Industry and the Arrival of the Glaciers” auf BoingBoing nichts von plötzlichen Umwälzungen wissen will. Zum Thema Geschwindigkeit schreibt er:

This change has been more like seeing oncoming glaciers ten miles off, and then deciding not to move.

Und zu der oft gehörten These man hätte den Wandel nicht vorhersehen können, zitiert Shirky einen eigenen Artikel aus dem Jahr 1995 in dem er klar darlegt, warum das Geschäftsmodell “Zeitung” im Internetzeitalter nicht mehr funktionieren kann. 1995 existierten übrigens weder Ebay, Craigslist noch Google. Trotzdem war offensichtlich, daß die Entwicklung langfristig unausweichlich ist und die Verleger hätten es wissen können und wissen müssen.

And once that became obvious, we said so, over and over again, all the time. We said it in public, we said it in private. We said it when newspapers hired us as designers, we said it when we were brought in as consultants, we said it for free. We were some tiresome motherfuckers with all our talk about the end of news on paper. And you know what? The people who made their living from printing the news listened, and then decided not to believe us.

Lernverweigerung überall?

Das kommt einem doch irgendwie bekannt vor; Diese Unfähigkeit und der Unwille, zwangsläufige Veränderungen zu sehen, zu akzeptieren und sich darauf einzustellen. Vor 20 Jahren ist an dieser Haltung der Ostblock zerbrochen. Nun ist möglicherweise diese Form der Realitätsverweigerung im Moment das größte Problem in der westlichen Hemisphäre. Es ist eben nicht nur die Zeitungsbranche betroffen. Es ist nicht nur die Medienbranche, die durch das Internet komplett durcheinandergewürfelt wird. Wir stehen vor gewaltigen Umbrüchen in vielen Bereichen. Stichworte?

Energieversorgung, Automobilindustrie, Finanzkrise, Rohstoffknappheit, …

Überall dasselbe: Es soll so bleiben wie es ist, weil die Betroffenen doch bisher so gut davon gelebt haben. Daß es einfach erhebliche Veränderungen geben muss, damit es weiter geht wird komplett ignoriert, ausgeblendet, verächtlich gemacht. Bis es nicht mehr geht und die Strukturen zusammenbrechen. Das liegt offensichlich in der Natur des Menschen. Schade…