Wo lebe ich eigentlich?
Vielleicht ist es ja dem Einen oder der Anderen bereits aufgefallen, daß sich unsere Gesellschaft immer mehr teilt. Dazu gehört nicht einfach nur “oben” und “unten”, “arm” oder “reich”. Die gesamte Gesellschaft zerfällt in immer mehr Subgruppierungen. Es gibt immer weniger Werte und Normen, die als Grundkonsens akzeptiert werden. Die jüngsten Wahlen bestätigen diesen Trend. Einerseits scheint es in einigen Teilen Deutschlands schon wieder völlig normal zu sein, offen staatsfeindlich zu sein und auch so zu wählen. Andererseits erodiert die Basis der sogenannten “Volksparteien”. Ergebnisse um die 30% scheinen für SPD und CDU zur Normalität zu werden.
Deutschland ist ruhig, hier brennen nachts keine Autos wie in Paris, hier geht niemand auf die Strasse, bloß weil Politiker vor der Wahl bewußt gelogen haben, wie in Budapest. Davon gehen wir sowieso aus. Hier läuft der Umsturz langsam und gesittet ab. Der untere Rand der Gesellschaft wird immer breiter. Es hungern und frieren zwar noch nicht allzu viele Menschen, aber wenn man ohne mit der Wimper zu zucken hinnimmt, daß 1/3 der Gesellschaft aus Sicht der Wirtschaft wertlos sind und Staat und Parteien jetzt auch noch dazu übergehen, die Menschen selbst dafür verantwortlich zu machen und unter Druck zu setzen, darf man sich nicht wundern, wenn die sich irgendwann abwenden und den Staat ablehnen.
Die Reichen und die Konzerne haben sich schon lange aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung verabschiedet und die Mittelschicht wir immer dünner und muß alles bezahlen. Wenn jemand 3000 Euro Brutto verdient, verursacht er seinem Arbeitgeber ca. 3600 Euro Personalkosten. Ausgezahlt werden ihm ca. 1700 Euro. Berücksichtigt man die diversen Konsumsteuern, so verbleibt ab dem nächsten Jahr eine reale Kaufkraft von etwas über 1400 Euro. Entgegen landläufiger Meinung liegen die Abgaben auf Erwerbsarbeit somit nicht bei “ungefähr der Hälfte”, sondern bei über 60%!
Die Politik quer durch alle Parteien tut nicht nur nichts dagegen, sondern verschärt die Situation immer weiter. Das untere Drittel der Gesellschaft resigniert und wählt -wenn überhaupt noch- rechts. Das ist schlimm. Genauso schlimm, aber noch kaum beachtet ist die Abwanderung unserer Fachkräfte. Von meinem Semester geht 1/3 ins Ausland. Im letzte Jahr verließen immerhin knapp 150.000 Menschen Deutschland. Rechnet nicht damit, daß viele zurückkommen. Höre ich da “niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten”?
So sehr ich mich auch persönlich für meine Freunde freue, daß sie glücklich werden, so schlecht finde ich das für unser Land. Ich bin in der Bundesrepublik geboren und aufgewachsen. Ich fand – bei aller vorhandenen Kritik – diese Land gut und schön. Ich habe immer gerne hier gelebt und will nicht auswandern. Aber ich habe zunehmend das Gefühl, daß die Vorteile verschwinden und zwar zunehmend schneller.
Mir wird mein Heimat gestohlen!
Bin ich jetzt ein typischer Deutscher Schwarzseher? Bin ich ein Nörgler und Jammerlappen, bloß weil mir die Entwicklungen hier so langsam richtig Sorgen machen?