London, September 2018
In den letzten Monaten hatte ich keine Muße zum Bloggen. Über einige mir wichtige Dinge möchte ich aber noch nachträglich schreiben, wie zum Beispiel über meinen kleinen London Trip im September.
Im August hatte mich meine Schwester gefragt, ob wir beide nicht mal ein paar Tage zusammen verbringen wollen. Nur wir beide einfach mal ein paar Tage raus aus dem Trott und auf Tour. Das war eine ausgezeichnete Idee.
Die Wahl fiel auf London. Wir waren beide schon mal als Kinder mit unserer Mutter dort, aber nicht zusammen. Bei mir war es 1980 und bei meiner Schwester muss es ungefähr 1988 gewesen sein. Also warum nicht mal wieder ein kleines Update, zumal man sich im fortgeschrittenen Alter auch für etwas andere Dinge interessiert. Das hat auch – soviel sei vorneweg verraten – ganz hervorragend funktioniert. Wir hatten beide Spaß.
Südlich der Themse
Wir sind zu nachtschlafender Zeit (um 4:00) aufgestanden um den frühen Flug mit British Airways von Hannover nach London Heathrow zu nehmen. Pünktlich zur Frühstückzeit waren wir am Earl’s Court um unser Gepäck im Hotel abzustellen und dann ging es los.
Mit der District Line ging es zunächst nach Westminster um dort herumzustromern. Einmal um Westminster Cathedral herum und dann über die Brücke zum südlichen Themseufer. Big Ben war eingerüstet und das Riesenrad (“London Eye”) zu teuer. Nicht weiter schlimm, denn zum Thema “tolle Aussicht” hatte ich noch ein As im Ärmel, aber dazu später.
Der normale Spaziergang entlang des Südufers hat bereits genügend zu bieten. Entlang an Touristennepp, kleineren Parks, Konzertsälen, dem National Theater im feinsten 70er Jahre Brutalismus und der Tate Modern. Dort zeigte sich zum ersten Mal, wie unterschiedlich wir bei die Stadt wahrgenommen haben. Mein Fokus liegt auf großen Strukturen und räumlichen Zusammenhängen, wie z.B. dass die Millenium Bridge exakt auf der Sichtachse zwischen Tate Modern und der St. Paul Cathedral liegt. Während ich mich noch für die spannende Konstruktion und Statik der Brücke begeisterte, entdeckte Mel sehr originelle Details, die weder mir noch den anderen Menschen auffiel, die über die Brücke gingen: Der Boden der Brücke aus strukturiertem Blech ist mit enorm vielen Kaugummiresten bedeckt – und hunderte davon sind individuell mit bunten, fantastischen Motiven bemalt.
Und so ging es weiter. Ich interessiere mich für Strukturen und Mel für originelle Details. Ein Abstecher über die Uferbefestigung, um Kieselsteine vom Themseufer zu sammeln (es war Ebbe). Etwas weiter zwischen modernen Gebäuden standen wir plötzlich vor einem kleinen Trockendock mit einem alten Segelschiff: Der Nachbau der Golden Hinde, mit der Sir Francis Drake zwischen 1577 und 1580 die Welt umsegelte, wurde tatsächlich gerade von Handwerkern instand gesetzt, was mitten in dem Business-Umfeld etwas schräg erschien. Weiter ging es vorbei am Bahnhof London Bridge hinter dem das ikonische Hochhaus “The Shard” steht, durch das neue Büroviertel gegenüber von Tower bis zur Straße Shad Thames, mit aufwändig sanierten alten Lagerhäusern.
Abschließend sind wir über die Tower Bridge, einmal um den Tower herum um uns dann mit der U-Bahn zurück zum Hotel zu bewegen. Den Tower selbst haben wir uns gespart, weil wir bereits als Kinder die Kronjuwelen angesehen hatten.
Mel war begeistert wie extrem unterschiedlich die Eindrücke auf nur 500m Fußweg sind. Sie meinte “Hier ist alles durcheinander: Kleine Häuschen aus dem 17. Jahrhundert, Gebäude aus der Zeit des Empire, langweilige Standardbüros, extravagante Hochhäuser – alles direkt nebeneinander. Total chaotisch. Nichts passt zusammen und irgendwie passt es am Ende doch”.
Meine trockene Antwort: “Ja, so ist das ganze Land. In jeder Beziehung”.
Imperial War Museum
Der Besuch im Imperial War Museum an Tag zwei war ein Wunsch von Mel. Den Namen finde ich etwas irreführend, weil das Museum nicht die Kriege des Empire (also die Kolonialzeit) thematisiert, sondern den ersten und zweiten Weltkrieg und die Zeit danach bis heute. Aber der Besuch lohnt in jedem Fall. Einerseits aufgrund der interessanten Exponate: In der Lobby beeindrucken unter anderem deutsche V1 und V2 britische Spitfire und Harrier Kampfflugzeuge. Zudem liegt dort eine von 5 produzierten “Little Boy” Atombomben, von denen die USA eine über Hiroshima abwarfen.
Abgesehen von diesen historischen Exponaten fand ich auch die thematische Aufbereitung gelungen. Sachlich und ohne heroische Überhöhung wird hier sehr deutlich, was Krieg für die Menschen wirklich bedeutet (wie bereitet sich ein normale Familie auf Bombenangriffe vor, was bedeutet es, wenn alles rationiert ist und man überall mit Spionen rechnen muss etc.). Das ist schon gruselig und hinterlässt ein beklemmendes Gefühl.
Wirklich spannend war für mich aber die andere Sichtweise. Wenn man in Deutschland vom Krieg redet ist eigentlich immer der zweite Weltkrieg gemeint. Davor war wenig und danach alles gut. Ich halte das für gefährlich, weil der Gesellschaft der Sinn für drohende Gefahr abhanden kommt. Krieg war früher und geht uns heute nichts mehr an.
Die Britische Sichtweise zeigt eher eine nicht abreißende Reihe militärischer Konflikte: Erster Weltkrieg, zweiter Weltkrieg, Nordirlandkonflikt, Falklandkrieg, Golfkrieg, …
Daraus ergibt sich zwangsläufig eine vollkommen andere Haltung zum eigenen Militär als bei uns in Deutschland.
Ace Cafe
Da ich mich in letzter Zeit wieder mehr für Motorräder interessiere, war mein Wunsch ein Besuch beim legendären Ace Cafe. Das 1938 eröffnete Ace Cafe war ursprünglich nur eine Raststätte an der damals neuen Ringstraße North Circular Road. In den 50er und 60er Jahren wurde es zu einem der wichtigsten Treffpunkte der jungen Motorradszene in Großbritannien. Hier gingen die Rocker (in England hat der Begriff eine etwas andere Bedeutung als bei uns) ein und aus und haben zu illegalen Straßenrennen ihre Triumph, Norton und BSA Motorräder frisiert. Daher stammt der Begriff “Cafe Racer”.
An diese Tradition der 50er und 60er Jahre knüpft das 1997 von Mark Wilsmore wieder eröffnete Cafe an. Hier ist der Treffpunkt der Londoner Petrolhead Szene. Es gibt Themenabende zu verschiedenen Motorrad- und Autokategorien (German Night, Italian Night, British Bikes, etc.). Für diesen Abend war ein Hot-Rod Treffen angesagt. Da das Cafe deutlich außerhalb der City in einem Gewerbegebiet zwischen Autobahn und Eisenbahngleisen liegt, hatte ich aber wenig Lust am Abend in der Dunkelheit dort zur U-Bahn zu laufen. Am Nachmittag war aber noch nicht viel los. Immerhin waren schon vier Hot-Rods dort und auf der Bühne standen einige klassische englische Motorräder aus den 60ern.
Wir haben dann noch kleinere Andenken gekauft (been there, done that, got the t-shirt) und dann ging es wieder zurück in die Stadt. Mein abschließender Gedanke: “Das nächste Mal dann mit eigenem Motorrad und abends .”
City, Temple und Sky Garden
Tag 3 begann damit, dass sich Mel die Kirche der Tempelritter ansehen wollte. Ich war am dem Morgen aus irgendeinem Grund völlig verpeilt. Zuerst hätte ich fast die falsche U-Bahn genommen, dann fiel mir auf, dass ich die Eintrittskarten für den Sky Garden vergessen hatte. Also ist Mel weitergefahren und ich bin erst mal zurück zum Earl’s Court. Dabei habe ich einen blöden Fehler gemacht, indem ich in der Station Westminster einfach direkt auf den gegenüberliegenden Bahnsteig gegangen bin. Teurer Fehler! In London bezahlt man mit der Oyster Card die Fahrstrecke. Man hält die Prepaid Karte beim Betreten der Station an das Lesegerät und beim Verlassen nochmal. Beim Verlassen wird dann der Betrag für die jeweilige Strecke abgezogen. Da ich in Earl’s Court eingestiegen und dort 40min später auch wieder ausgestiegen bin, wusste das System nicht, welche Strecke ich zurückgelegt hatte und hat mir den Höchsttarif abgezogen (ca. 10 Pfund).
Für das nächste Mal: Wenn ich aus irgendeinem Grund dieselbe Strecke zurückfahren muss: erst raus aus der Station und dann wieder rein.
Nachdem ich die Karten geholt hatte, traf ich Mel im Temple Bezirk gegenüber des Royal Court of Justice, als sie mit der Besichtigung der recht kleinen Kirche der Tempelritter fertig war. Dieser Bezirk ist sehr speziell und vermittelt den Eindruck eine eigene viktorianische Kleinstadt mitten in der Londoner City zu sein. Man findet kaum den Zugang zu den kleinen Straßen und Plätzen (die weitgehend autofrei sind). Nahezu jedes Gebäude ist von Anwaltskanzeleien belegt. Die Namen der jeweiligen Anwälte (nicht etwa der Kanzeleien) steht neben jeder Eingangstür. Neben einigen Touristen laufen hier also hauptsächlich Juristen durch die Gassen, von denen einige auch in voller Amtstracht mit schwarzem Talar und weißen Perücken trugen.
Für Mittags hatte ich Karten für den Sky Garden – der Aussichtsplattform im berühmt-berüchtigten Walkie-Talkie Building in der Fenchurch Street 20. Das Foto hat keinen perspektivischen Fehler – das Gebäude wird nach oben tatsächlich breiter. Es hat aufgrund seiner seltsam gebogenen Form einmal ein Auto durch Lichtbündelung in Flammen aufgehen lassen und den Architekturpreis für das hässlichsten Hochhaus Großbritanniens gewonnen.
Aber das geniale ist: Man muss zwar im Vorfeld Eintrittskarten buchen, dafür ist jedoch eine Stunde Besuch kostenlos!
Noch genialer ist der Eindruck wenn man im 35. Stock ankommt. Man findet sich in einer mehrgeschossigen, lichtdurchfluteten Halle mitsamt Berggarten wieder. Alleine der Raumeindruck ist toll und man hat einen fantastischen rundum Blick. Um dort oben die Details von London zu entdecken ist eine Stunde genau richtig.
Whitechapel
Meine Schwester hatte sich schon als Kind brennend für die Geschichte von Jack the Ripper interessiert. Also war klar, dass wir einen Rundgang durch Whitechapel machen. Ich ließ mich hinterher treiben, während Mel ganz begeistert Orte suchte und meist auch fand, die irgendeine Relevanz hatten. Zum Beispiel die Kirche um die die Prostituierten herumgingen (stehenbleiben war für die Damen strafbar!) oder der noch immer existierende Pub The Ten Bells, in dem die beiden Opfer Annie Chapman und Mary Jane Kelly Stammgäste waren. Zum Abschluss sind wir noch durch die Glashallen des Old Spitalfields Maket geschlendert.
Auch hier sind die Kontraste riesig. Während der erste Ort, den wir aufsuchten – Mitre St. – von gläsernen Hochhäusern umstellt kaum noch zu finden ist, hat man ein paar Hundert Meter weiter in den engen Gassen mit dreigeschossigen Backsteinhäusern das Gefühl, dass die Ripper-Morde erst vor 10 Jahren passiert sein könnten.
Camden Market
Den letzten Tag verbrachten wir an einem Ort, den wir uns beide im Vorfeld herausgesucht hatten: Camden Market. Eigentlich stehe ich ja nicht so auf Flohmärkte und Tüddelkram, aber DAS konnte ich mit nicht entgehen lassen. Ein unfassbar großes, verwinkeltes, wuseliges Konglomerat von kleinen Ständen mit Klamotten, Schmuck, Möbeln, Musik, Tüddelkram, Imbissbuden jeder Art. Und mit Groß meine ich GROSS!!! Denn strenggenommen ist es nicht ein Markt, sondern sechs verschiedene, die alle nebeneinander liegen und die Camden High Street gehört irgendwie auch schon dazu.
Was dort nicht zu finden ist Mainstream oder irgendwelche Kettenläden. Wer lieber Lederklamotten, schräge T-Shirts, grelle, blinkende Technoklamotten, Kleidung im Gothik- oder Steampunk Stil oder sonst was ungewöhnliches sucht, ist dort richtig.
Der Ort ist am Camden Lock – einer Schleuse am Regents Kanal. Im 19. Jahrhundert war das einer der wichtigsten Warenumschlagplätze vor der Toren von London. Daher stehen neben der Schleuse Lagerhäuser und riesige, mehrstöckige Pferdeställe in denen früher mehrere hundert Pferde gleichzeitig untergebracht wurden. Selbst im Untergeschoss sind noch die Boxen für die armen Pferde zu sehen. Ein Teil soll wohl auch ein Pferdekrankenhaus gewesen sein.
Diese Menge an Arbeitspferden wurde benötigt um die Waren auf Kutschen nach London hinein zu befördern aber auch zum Treideln der Kanalboote.
Die Stimmung an diesem Ort ist trotz der Menschenmassen entspannt. Wir haben uns treiben lassen, leckeres Streetfood verputzt, lustiges Zeug angeguckt, die Sonne genossen, lustige Leute angeguckt, Käffchen getrunken und Mützen gekauft. Warum nicht? Irgendwas muss man von dort einfach mitnehmen.
Fazit
Wir haben einen Bogen um die üblichen Touristenorte machen können. Mel hatte Ziele, auf die ich nicht gekommen wäre und ich habe Orte vorgeschlagen, die ihr nie in den Sinn gekommen wären. Und alles war auf seine Art spannend. Beide haben wir uns für Geschichte interessiert. Zudem haben wir uns durch unsere unterschiedliche Sichtweise auf Dinge gegenseitig gut ergänzt. Ich schaue meist auf große Strukturen und Zusammenhänge (Verkehrsnetz, Brückenstatik, mögliche Aussichtspunkte, …) und Mel fallen die ungewöhnlichsten kleinen Details auf (bemalte Kaugummireste auf der Brücke, tolle Graffiti, kleine Spielereien in den Läden).
Es waren vier tolle, interessante Tage mit meiner Lieblingsschwester.