Pro oder Contra Tegel
In Berlin findet parallel zur Bundestagswahl auch ein Volksentscheid zum möglichen Weiterbetrieb des Flughafens Tegel (TXL) statt. Ich habe meine Stimme bereits vor über einer Woche per Briefwahl abgegeben und möchte mich jetzt mal bekennen:
Ich habe dafür gestimmt, den Flughafen Tegel weiterhin offen zu halten.
Bäng!
Bevor jetzt mit faulen Tomaten oder Eiern nach mir geworfen wird, bitte ich darum, meine Argumente anzuhören.
Ich bin nämlich eigentlich dafür, ihn zu schließen, glaube aber, dass das in der jetzigen Situation nicht richtig wäre.
Was mich an der ganzen Diskussion pro und contra Tegel stört, ist die Oberflächlichkeit der Diskussion. Wer gegen TXL ist, wohnt in der Einflugschneise und will seine Ruhe haben und wer für TXL ist, ist ein Nostalgiker, der zu faul ist, nach Schönefeld zu fahren. Meine Stimmabgabe lässt sich also ganz einfach erklären:
Ich bin halt so ein Pfeffersack, der im Prenzlauer Berg wohnt, viel fliegt und es toll findet, dass der Flughafen nicht so weit weg ist.
Das stimmt zwar – ist aber irrelevant.
Die Fahrzeit nach Tegel und nach Schönefeld (bzw dann BER) ist beinahe identisch. Vom Fluglärm bekomme ich nur dann etwas mit, wenn in Richtung Osten gestartet wird, aber dass man nicht in Ruhe am Weissensee oder in Pankow spazieren gehen kann (geschweige denn dort wohnen) finde ich auch nicht so klasse.
Worum geht es mir also dann?
Der Hintergrund meiner Entscheidung liegt ca. 25 Jahre zurück. Damals habe ich Stadt- und Regionalplanung an der TU-Berlin studiert. Kurz nach dem Fall der Mauer war in Berlin alles zusammengebrochen. Der Osten sowieso, aber auch die hoch subventionierten Betriebe im Westteil wurden geschlossen. Die Zukunft völlig offen. Welche Rolle sollte und könnte die Stadt in Zukunft spielen? Welche Anforderungen würden sich daraus ergeben? Es gab jede Menge Meinungen, die in alle möglichen Richtungen gingen, aber in zwei Punkten herrschte relative Einigkeit:
- Die Zeiten, in denen in Berlin eine nennenwerte Industrieproduktion hatte, sind endgültig vorbei
- Egal welche Rolle Berlin zukünftig spielen würde – Eine moderne und leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur wäre in jedem Fall nötig
Vor diesem Hintergrund haben wir an der TU eine Luftverkehrsplanung erstellt. Zu diesem Zeitpunkt dienten Tegel, Tempelhof und Schönefeld der Zivilluftfahrt. Die Zahlen von 1993 als Ausgangsbasis unseres Konzeptes waren:
Flughafen | Startbahnen | Flugbewegungen | Passagiere |
---|---|---|---|
Tegel (TXL) | 2 | 90.000 | 7 Mio. |
Schönefeld (SXF) | 2 | 31.300 | 1,6 Mio |
Tempelhof (THF) | 2 | 54.000 | 1,1 Mio |
Die Randbedingungen der Überlegungen waren weiterhin:
Keine weitere militärische Nutzung der Flughäfen. Die Russen waren bereits abgezogen, die Franzosen hatten Tegel verlassen, die Amerikaner waren gerade dabei Tempelhof Air Force Base zu räumen und der britische Militärflugplatz Gatow wurde gerade geschlossen.
Berlin würde wieder Regierungssitz werden und daher auch einen Regierungsflughafen benötigen.
Aufgrund des witschaftlichen Zusammenbruchs Berlins wurde kurzfristig nicht mit einem starken Wachstum der Verkehrszahlen gerechnet. Mittel- und langfristig wurde jedoch ein sehr hohes Verkehrswachstum prognostiziert.
Unklar war dabei der Anteil an Luftfracht, die Entwicklung der Privat- und Geschäftsfliegerei und die Frage, ob Berlin mittelfristig wieder zu einem Hub werden würde. Die Optionen sollte auf jeden Fall offen gehalten werden.
Es galt nun, die Hauptfaktoren Ausbaufähigkeit, Lärmschutz, Naturschutz, Anbindung, externe Infrastrukturkosten abzuwägen.
Zu Beginn der Planungen war zunächst alles denkbar. Die Extrempositionen waren der Weiterbetrieb aller bestehenden Flughäfen oder die Schließung aller Flughäfen und Neubau weit im Süden (Sperenberg) oder weit im Norden (Prignitz mit Transrapidanschluss von Berlin und Hamburg).
Nach sehr lebhaften, aber sachlich gut begründeten Diskussionen entschieden wir uns damals für folgende Variante:
Aus Gründen des Lärmschutzes und aufgrund von Sicherheitsbedenken sollte Tempelhof geschlossen werden.
Schönefeld sollte aufgrund seiner guten Erreichbarkeit zum einzigen Flughafen für die Verkehrsfliegerei ausgebaut werden. Um die angestrebte hohe Kapazität zu erhalten, mussten die beiden Startbahnen einen größeren Mindestabstand erhalten. Zudem lag die damalige Nordbahn zu dicht an Bohnsdorf. Unser Vorschlag war, die damalige Nordbahn zu schliessen, die Südbahn zur neuen Nordbahn zu machen und südlich davon den neuen Flughafen zu bauen und südlich davon eine neue Start- und Landebahn.
Das entspricht ziemlich genau dem späteren offiziellen Konzept des BER. So wurde er auch gebaut.
Für Tegel hatten wir vorgesehen, Verkehrsfliegerei dort nicht weiterzuführen, ihn aber als Regierungsflughafen, sowie als Standort für die Privat- und Geschäftsfliegerei weiter zu betreiben. Dadurch hätte man eine saubere Trennung von der Verkehrsfliegerei erreicht, die Kapazität in Schönefeld würde nicht durch Kleinflugzeuge beeinträchtigt, die Berliner würden erheblich weniger Fluglärm als bisher ausgesetzt sein.
Diese Überlegung finde ich auch noch immer richtig. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der BER noch immer nicht eröffnet ist, aber bereits jetzt zu wenig Kapazität aufweist. Es geht dabei ja nicht nur um die Terminals, sondern vor allem um die Slots. Der BER hat nur zwei Startbahnen. Hierüber die normale Verkehrsfliegerei plus Regierungsfliegerei plus General Aviation abzuwickeln halte ich mittelfristig für unrealistisch.
Startbahnen | Flugbewegungen | Passagiere | |
---|---|---|---|
1993 TXL, SXF, THF | 6 | 175.000 | 9,7 Mio |
2016 TXL, SXF | 3 | 282.000 | 32,9 Mio |
Zukünftig BER | 2 | 426.000 max. | 27 Mio, 50 Mio max. |
Ein Flughafen reicht für eine Stadt, wie Berlin nicht aus. Zwei sind genau richtig.
Paris hat 3, London gar 5 Flughäfen. Oder wir bauen solche Monster wie Chicago O’Hare oder Atlanta Hartsfield, was ich aber in Deutschland für unrealistisch halte.