code.talks eCommerce Berlin 2016
Am 19. und 20. April fand in der Kulturbrauerei in Berlin Prenzlauer Berg die Konferenz code.talks commerce special statt. Die Veranstaltung richtete sich hauptsächlich an Entwickler im Bereich Online-Shops. Die zwei Tage voller interessanter Vorträge und Unterhaltungen fasse ich für mich mal so zusammen:
Zwischen Techno-Konservativismus und Zerschlagung von Monolithen
Die Eröffnungrede wurde von Alexander Graf (Spryker) und Lars Jankowfsky (Gründer von Oxid und .NFQ) gehalten und sollte einleitend die Frage klären, weshalb eine separate Entwicklerkonferenz überhaupt nötig sei.
Lars Jankowfsky provozierte mit Aussagen, wie “E-Commerce is basically incredible boring” und “You still could build the most online shops with the systems of 2003”.
Alexander Graf konterte mit Beispielen der letzten 10 Jahre abseits des Mainstreams, wie Shopping Clubs und One Article per Day Stores und sagte dass er in den letzten 10 Jahren noch nie die Aussage gehört hat “Das mit der Technik lief ja so klasse – lass uns das gleich nochmal bei dem nächsten Projekt verwenden”.
Diese Positionen wurden von den beiden in späteren Vorträgen weiter vertieft. Alexander Graf erläuterte unter dem Titel “E-Commerce Companies = Tech Companies. Why is that?” erneut seine Sicht auf die Entwicklung verschiedener eCommerce Segemente und die Notwendigkeit technisch flexibel auf rasch veränderte Marktanforderungen reagieren können. Hierfür sei das Spryker Framework wesentlich besser geeignet, als monolitische Shopsysteme.
Zuvor hatte Lars Jankowfsky bereits mit seinem Vortrag “E-Commerce was wirklich zählt. Die Developer Edition” den Entwicklern den Kopf gewaschen. Er zählte verschiedene Shopsysteme auf und ergänzte stets mit entsprechender Attitude “laaangweilig!”.
Entwickler seien schnell gelangweilt und tendieren dazu, neue, vermeintlich “coole” Technik einsetzen zu wollen. Technik sei aber nun mal kein Selbstzweck, sondern dazu da die Anforderungen des Kunden bestmöglich zu unterstützen. Es folgte eine Liste mit Themen und Techniken, die Developer in den letzten 10 Jahren lernen mussten und die teilweise schon wieder überholt seien.
Welche Ressourcenverschwendung. Insofern sieht er den Einsatz von Programmiersprachen jenseits der beiden marktbeherrschenden Schwergewichte Java und PHP skeptisch, weil das Staffing von Teams so nur noch schwieriger wird, als es ohnehin bereits ist.
Er widersprach auch der weitverbreiteten Ansicht, die besten Entwickler seien diejenigen, die stets mit den neuesten Tools am Start sind. Eine Einschätzung, die von mehreren Zuhörern bestätigt wurde.
Letztlich sind Jankowfskys Plädoyer für Techno-Konservativismus und Grafs Baukastenansatz aber kein Widerspruch, weil beide vom Endkunden her gedacht sind.
Am Ende des Tages ist entscheidend, welcher Umsatz mit wieviel finanziellen Ressourcen erzielt werden kann.
Auch wenn Jankowsky mit der Aussage, Onlineshops seien im Prinzip noch immer wie vor 15 Jahren (Landing Page, Kategorieseite, Produktseite, Basket und Checkout) in gewisser Weise recht hat, so haben sich doch Anforderungen und Komplexität der kompletten Systemlandschaft erheblich erhöht und diese Entwicklung hält an. Wie u.a. das ONGR Frontend Framework zeigt, ist ihm das auch seit langem bewusst.
Es gab mehrere hockarätig besetzte Panel Diskussionen. Zum Beispiel nahmen an der Diskussion über Shopsysteme neben Lars Jankowfsky Yoav Kutner (Oro Inc., zuvor Magento Inc.), Ulrike Müller (NewStore, zuvor Demandware und Intershop), Fabian Wesner (Spryker Systems GmbH), Moritz Zimmermann (hybris/SAP CEC) und Ben Marks (Magento Inc.) teil.
In den Panel Diskussionen “shop systems” und “SaaS vs. Paas vs. Self-hosted” wurde – nicht ganz überraschend – deutlich, dass es keine One-Size-Fits-All eCommerce Lösung geben kann. Die Tendenz mit zunehmender Umsatzgröße und Individualität neigen Firmen dazu, größere Teile der technischen Basis selber zu betreuen. Gleichzeitig lösen sie sich zunehmend von monolithischen Systemen.
Weg von Monolithen
Die Auflösung monolithische Shopsysteme scheint sich als Trend bei größeren Shops durchzusetzen. Vor zwei Jahren wurde noch viel darüber geredet, im letzten Jahr wurden einige Projekte in dieser Richtung gestartet und nun liegen auch die ersten Erfahrungsberichte vor. Gleich zwei parallel stattfindende Vorträge am ersten Tag und zwei weitere am zweiten Tag hatten Microservices zum Thema.
Ich entschied mich für “Von Monolithen und Microservices” den Guido Steinacker von Otto hielt. Zu Beginn erläuterte er weshalb vor zwei Jahren die Entscheidung für eine völlig neue Systemarchitektur fiel. Einerseits war das bestehende System mit 200 Servern nicht weiter skalierbar und die komplexität der Applikation war so hoch, dass sowohl Releases, als auch Datenupdates zu langsam wurden.
Durch die Einführung von Microservices hat sich zunächst die Entwicklung selbst geändert. Anstatt einem Entwicklerteam mit 50 Mitarbeitern gibt es nun 10 Teams mit 5 Mitarbeitern. Die Features können nun schneller entwickelt und deployt werden. Die Responsibibility der Teams für “ihren” Service ist spürbar gestiegen und neue Mitarbeiter sind wesentlich schneller produktiv.
Eine Herausforderung war es, die Stellen zu identifizieren, an denen der Monolith aufgeteilt wurde. Die Veränderung der Systemarchitektur ist laut Steinacker ein laufender Prozess, bei dem gefundene Lösungen bei Bedarf re-evaluiert und neu zugeschnitten werden. Die Microservices sollten nicht zu groß werden, fachlich separiert und logisch abgeschlossene Einheiten nach dem shared-nothing-Prinzip sein.
Der Vortrag war wirklich sehr gut und so detailliert, dass man alleine hierzu einen längeren Artikel schreiben sollte. Da Josef Willkommer von Techdivision das bereits getan haben, verweise ich einfach mal auf seinen Blogbeitrag “Zusammenfassung der Code.Talks commerce special 2016 – Tag 1“.
Nachtrag: Ich bin eben über den Beitrag “Why Microservices?” von Guido Steinacker auf dem Development Blog von Otto gestossen. Dort kann man nicht nur das “Warum”, sondern auch das “Wie” nachlesen. Absolut empfehlenswerte Lektüre.
In einer Gespräch am Abend habe ich die Meinung gehört, dass die Auflösung der monolitischen System ja bereits vor Jahren begonnen habe. Kaum ein Shop hat nicht mindestens Payment, Suche, Recommendations und Tracking an externe Systeme oder gar externe Dienstleister ausgelagert. Von daher sei die weitere Dekonstruktion der Shopsysteme nur logisch und konsequent.
Der Markt bleibt also weiterhin in Bewegung. Die momentanen Newcomer heben sich von den etablierten Anbietern zur Zeit vor allem durch den Framework Ansatz ab. Ein vielversprechendes System, dass ich mir in nächster Zeit näher ansehen werde, ist Sylius, das Paweł Jędrzejewski an Tag 2 vorstellte.
Die zweitägige Konferenz kann ich nur als gelungen bezeichnen. Gute Vorträge (ich habe noch etliche weitere gehört, aber der Artikel wird sonst einfach zu lang) und anregende Diskussionen. Ich bin inspiriert nach Hause gegangen. Und das ist wörtlich zu nehmen, da ich nicht weit entfernt wohne. Noch ein Vorteil… :-)