Die Erschaffung der Welt und koschere Gummibärchen
Heute habe ich die Sonderausstellung “Die Erschaffung der Welt” im jüdischen Museum Berlin genossen. Ausgestellt wurden mittelalterliche Schriftstücke, kunstvoll angefertigte Hochzeitsverträge, reich illustrierte Schriftrollen und wertvolle Drucke. Freundlicherweise war das Fotografieren gestattet.
Unter den Ausstellungsstücken sind zahlreiche extrem wertvollen Unikate, die teilweise über 600 Jahre alt sind. Bücher, deren Seiten aus Tierhäuten bestehen, kunstvoll verziert, mit Blattgold belegt. Es sind sowohl religiöse Schriften, wie die Tora oder Teile der Bibel, aber auch juristische Werke, wie Gesetzestexte oder Hochzeitsverträge, monumentale Bücher mit etlichen Kilo Gewicht, oder kunstvolle Miniaturen oder Schriftrollen.
Immer faszinierend ist die Präzision und ästhetische Qualität der Handschriften. Obwohl ich die hebräischen Schriften nicht lesen konnte, begeisterte mich die Kalligraphie und generell die unglaubliche, heute kaum noch nachvollziehbare Bedeutung des geschriebenen Wortes. Genauso spannend ist der Einblick, der diese Werke in das Leben der Menschen ermöglicht. Die penible Auflistung aller Werte, die jeder Partner in die Ehe einbringt und der Pflichten, die er eingeht, zeigt, dass die Bedeutung einer Ehe damals erheblich anders wahrgenommen wurde, als heutzutage.
Das Kunstprojekt BIOS [TORAH] von Robotlab gehörte nicht mehr zu der Ausstellung, ist aber eine gelungene thematische Überleitung zum Rest des Museums. Der Titel ist eine Parabel: Im BIOS sind die Grundfunktionen eines Computers eingebrannt, auf dem alle Funktionen des Betriebssystems und der Anwendungen aufbauen. Die Schrift, mit der religiöse und juristische Texte verfasst sind, stellt gleichsam das funktionale Fundament einer Gesellschaft dar.
Das Kunstwerk besteht im Wesentlichen aus einem Industrieroboter, der die Aufgabe eines Sofer (Tora-Schreibers) übernimmt. Er schreibt die Tora mit Schreibfeder und Tinte in menschlicher Geschwindigkeit auf eine 80m lange Papierrolle. Da der Roboter aber nur sein Programm ausführt und keine Auseinandersetzung des Schreibers mit dem religiösen Text stattfindet, genügt der Text nicht den Erfordernissen des jüdischen Religionsgesetzes. Er ist nicht koscher (=rituell unbedenklich).
Koscher waren hingegen die Gummibärchen aus einem Automaten in der ständigen Ausstellung, was mich zum schmunzeln brachte.
Im Jahr 2001 habe ich zum ersten Mal das jüdische Museum Berlin besichtigt – vor der offiziellen Eröffnung. Damals war der Neubau von Daniel Liebeskind noch leer. So konnte ich die extravagante und symbolträchtige Architektur unverfälscht auf mich wirken lassen. Der Museumsneubau hat zum Beispiel keinen direkten Eingang. Er ist nach aussen zerrissen und abweisend und im Inneren irritierend und ohne vertraute rechte Winkel, die Ordnung und Orientierung versprechen.
Ich habe seinerzeit in den leeren Räumen gestanden und mich gefragt, wie dort jemals eine Ausstellung aufgebaut werden kann.
Nun weiss ich es. Es geht hervorragend. Die Ausstellung ist chronologisch und verwirrend und dennoch logisch. Sie zieht einen roten Faden, ist aber und mit verstörenden Elementen durchzogen, wie dem mehrgeschossigen Raum, in dem man auf kleinen Stahlplatten herumlaufen kann, die schreiende Gesichter darstellen. Die Symbolik und der Raum und die entstehenden Geräusche wirken durchaus bedrückend.
Bei allen Hinweisen auf die problematischen oder grausamen Aspekte der deutsch-jüdischen Geschichte ist das Museum jedoch keinesfalls als Trauerstätte oder Holocaust Mahnmal zu verstehen. Dafür ist die jüdische Tradition in Deutschland zu alt und vielschichtig. Genau das wird in dem Museum hervorragend vermittelt.