Der Blick zurück nach vorn – die Zukunft des Retrocomputing
Am letzten Dienstag fand die abschliessende Veranstaltung aus der Vortragsreihe Shift – Restore – Escape an der Humboldt Universität in Berlin statt.
Während des Semesters gab es viele interessante Vorträge auf hohem Niveau zu hören, von denen ich ja auch hin und wieder berichtet hatte. Der Schwerpunkt der Vorträge lag auf technischen Gebiet. Dabei wurden häufig Dinge auf 30 Jahre alten Maschinen gezeigt, die seinerzeit nicht für möglich gehalten wurden. Antrieb für die Projekte war meist ein wenig Nostalgie, sportlicher Ehrgeiz oder die Suche nach Erkenntnisgewinn, der sich mit der überschaubaren Technik leichter einstellt als mit aktueller Technik. Die damit verbundenen philosophischen Fragen wurden zwar angesprochen, gaben aber eher den Hintergrund ab. Bei der Abschlussveranstaltung war es aber genau andersherum.
Vor voll besetzten Rängen gab es eine Diskussionsrunde mit interssanten Gästen, die jeweils einen eigenen Schwerpunkt haben und daher eine eigene Sichtweise auf das Thema einbrachten.
Auf dem Foto sind zu sehen (von links nach rechts): Andreas Paul vom Verein zum Erhalt klassischer Computer e.V., Thiemo Eddiks, Initiator des Oldenburger Computer-Museums, Andreas Lange vom Computerspielemuseum Berlin, Enno Coners vom CSW-Verlag und Dr. Stefan Höltgen vom Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft der Humboldt Universität.
Das Publikum war ebenfalls hochrangig besetzt. In die Diskussion brachten sich unter anderem ein: Dr. Ralf Bülow (ehem. wissenschaftlicher Berater beim Computermuseum Kiel), René Meyer (vom Leipziger Haus der Computerspiele) und Eva Kudrass (wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Computerausstellung des Deutschen Technikmuseums Berlin).
Ausgangsthese: Retrocomputing gibt es eigentlich gar nicht
Die zentrale These, die Stefan Höltgen mit der Reihe zu belegen versuchte ist, dass es im eigentlichen Sinne kein Retrocomputing gibt. Sobald man die Maschine einschaltet und nutzt, ist man mit dem Rechner im Hier und Jetzt, was eindrucksvoll durch den SymOS Vortrag (Ist das noch Retro? SymbOS auf Z80 Rechnern) von Jörn Mika verdeutlicht wurde.
Diese Sichtweise hat natürlich starken Einfluss auf die Art, wie alternde Computertechnik für die Nachwelt aufbewahrt werden soll. Etwas überspitzt formuliert:
Ein Computer, der nur da steht und nicht genutzt wird, ist kein Computer, sondern Elektroschrott.
Ziel muss es daher sein, alte Computer nicht in die Vitrine zu stellen, sondern weiterhin in Betrieb zu halten. Dementsprechend ist ein „wahres Computermuseum“ nur eines, dass die Rechner funktionstüchtig erhält. Das Oldenburger Computermuseum ist strenger Verfechter dieser Haltung.
Funktionsfähigkeit erhalten – aber wie?
Das Berliner Computerspielemuseum würde das auch gerne tun, was aber bei ca. 70.000 Besuchern im Jahr nicht geht, weil die Geräte sonst schnell verschleissen. Man behilft sich daher zum Teil mit Emulationen, was in Ordnung ist, weil es hier weniger um die Hardware, sondern um das Spiel als solches geht.
Den starken Verschleiss eines Museums haben private Aktive zwar nicht zu befürchten, aber dennoch gehen immer mehr Maschinen kaputt. Der Verein zur Erhalt klassischer Computer hält daher Reparaturen mit aktuellen Bauteilen (z.B. auf FPGA Basis) für ein notwendiges Übel, aber vertretbar.
Ein besonderes Problem hat das Deutsche Technikmuseum mit seiner Zuse-Sammlung. Neben den fehlenden finanziellen Mitteln für Live-Vorführungen fehlen mittlerweile auch die Fachleute, die das nötige Know-How für die Maschinen aus den 50er und 60er Jahren haben. Zudem – welche Software soll man überhaupt demonstrieren?
Ein Vertreter aus dem Publikum vertrat die Ansicht, dass Emulatoren die sinnvollste Art sind, alte Software am Laufen zu halten. Anderen fehlt die Haptik (Originaltastaturen, Röhrenmonitore, ratternde Diskettenlaufwerke) oder der richtige Kontext. Man kann zwar alte Spielhallenautomaten auf PC emulieren, aber die Originalmaschinen hatten nicht nur besondere Hardware, sondern standen in der Öffentlichkeit im Bahnhof, in Kinos und Kneipen. Nur vor diesem Hintergrund kann man den Sinn der Highscore Listen und die Besonderheiten des Spieldesigns richtig verstehen.
Der Gesetzgeber als Problemverursacher
Neben den technischen und philosophischen Problemen gibt es eine Reihe weiterer Schwierigkeiten, die durch höchst problematische Gesetzgebung verursacht werden. Als Beispiele seien genannt: Urheberrecht und Jugendschutz.
Bei der Hardware geht man von einer Haltbarkeit von 40-50 Jahren aus. Im Bereich der Software besteht jedoch bereits jetzt dringender Handlungsbedarf. Die meist magnetischen Datenträger verrotten nämlich schon. Dieser Zerfallsprozess kann nicht aufgehalten werden, daher müssen die Daten umkopiert werden um sie zu retten, was aber aus mehreren Gründen eigentlich verboten ist.
Die überlangen Schutzfristen im Urheberrecht passen nicht zu dem extrem schnellebigen Computermarkt. Streng genommen dürften die Daten erst dann durch umkopieren gerettet werden, wenn garantiert kein Originaldatenträger mehr lesbar ist.
Zwar ist das Umkopieren gestattet, wenn ein Originaldatenträger vorhanden ist, aber nicht, falls ein Kopierschutz – wie leicht auch immer zu umgehen – auf dem Datenträger angebracht ist. Das ist bei Spielen eigentlich immer der Fall.
Es gibt gerade im Softwarebereich einen großen Anteil an verwaisten Werken. Das sind Titel, deren Rechteinhaber schon seit längerem nicht mehr bestehen. Auch diese Werke unterliegen unsinnigerweise noch immer dem Urheberschutz.
Weiterhin gibt es das Problem der gesetzlichen Altersfreigabe von Spielen. Wenn keine vorhanden ist, darf das Spiel nur Menschen ab 18 Jahren zugänglich gemacht werden. Die alten Heimcomputerspiele haben alle keine Altersfreigabe, weil es so etwas damals noch nicht gab. Daher ist der gewollte Bildungsauftrag, Kindern und Jugendlichen die geschichtlichen Ursprünge näherzubringen, eigentlich gesetzlich untersagt.
Was lehrt uns das?
Die Bewahrung des Kulturgutes Computer aus historischen Gründen ist dringend geboten, weil bereits jetzt viel Hardware, Software und Know-How unwiederbringlich verlorengeht. Neben den finanziellen und technischen Herausforderungen ist hier auch der Gesetzgeber gefordert, unsinnige und schädliche Vorschriften zu entschärfen oder besser ganz zu streichen.
Statements
Zum Schluss möchte ich noch einige Statements des Abends zum Besten geben:
„Der Computer ist kein geschichtliches Artefakt, wenn man ihn benutzt“
„Auch eine Ausstellung ist ein Medium.“
„Digital ist flüssig. Alles ist veränderbar. Es gibt kein Original, sondern nur Kopien.“
„Selbst wenn Barockmusik auf Originalinstrumenten gespielt wird, ist das Erlebnis aufgrund des anderen Kontexts und der eigenen Hörgewohnheiten ein anderes als damals“