Spass mit der Bahn
Mein neuer Brötchengeber sitzt in Hamburg – also tue ich das auch. Wenigstens manchmal. Telearbeit von Zuhause ist dank DSL und VPN möglich. Kurz gesagt: Drei Tage Hamburg, zwei Tage Berlin. Das führt zu erhöhter Reisetätigkeit.
Einmal habe ich ausprobiert mit dem Auto zu fahren. Nicht so toll. Im Vergleich zur Bahn dauert es länger, ist teurer (Benzin, Abnutzung und Parkgebühren) und vor allem bin ich von der ersten Minute an genervt. Also ist ICE angesagt. 1:36 für die Strecke ist nicht schlecht – wenn es denn funktioniert. Viermal bin ich bisher gefahren, dreimal davon mit Verspätungen zwischen 40 und 55 min. angekommen. Ich will mal hoffen, daß das wieder anders wird. Es werden ja wohl nicht laufend Oberleitungskabel geklaut, wie vorgestern. Unglaublich, wie in Afrika…
Nun beschäftige ich mich also in den letzten Tagen mit der Frage, welche DB-Tarife für mich am günstigsten wären. Dabei bin ich auf so wahnsinnige Angebote wie “Monatskarte Berlin-Hamburg” für €577 gestoßen (lohnt nicht, wenn man nicht täglich fährt) oder die sagenhafte Bahncard 100. Wer es nicht weiß: Die Zahl steht für die Ermäßigung auf den regulären Fahrpreis in Prozent. das bedeutet, daß eine Fahrt mit der Bahncard 100 kostenlos ist – abgesehen von der Bahncard selber. Und die kostet immerhin €3400,-. Klingt teuer, ist es aber nicht, wie ich mir schnell ausgerechnet habe. Ich habe also tatsächlich in den sauren Apfel gebissen. Aber zum Dank hat die Bahn heute schon zum zweitenmal (abgesehen von der Verspätung) eine lustige Variante der “Reise nach Jerusalem” gespielt. Und das geht so:
Die Aufstellung
Man nehme einen Doppel ICE-3 (also zwei hintereinandergehängte Züge mit einer Gesamtlänge von ca. 400m) der voll ausgebucht ist. Das macht einem zunächst nichts, weil man ja eine Platzreservierung hat. Man geht also zuerst zum Wagenstandsanzeiger und guckt nach, wo der entsprechende Waggon halten wird und begibt sich ungefähr an diese Stelle.
Das Spiel
Obwohl der Zug in Hamburg eingesetzt wird schafft es die Bahn, ihn erst 5 min. nach der planmäßigen Abfahrt bereitzustellen. So wird zuerst ein gewisser zeitlicher Druck aufgebaut. Um jetzt ein wenig Bewegung ins Spiel zu bringen, macht man bei der Einfahrt des Zuges und während nebenan eine Diesellok im Stand Vollgas gibt, wie es sonst 18-jährige Dorfbewohner mit tiefergelegten Autos Samstag abend vor der Dorfdisco tun, eine wichtige Ansage. Sinngemäß etwa:
“Der Zug fährt jetzt ein, aber wir haben die Waggons heute ein wenig durcheinandergewürfelt. Der vordere Zugteil bleibt der vordere Zugteil und der hintere der hintere, aber wir haben die beiden Hälften jeweils umgedreht. Also anstelle von 38 bis 31 und 21 bis 28 ist die Reihenfolge heute 31 bis 38 und 28 bis 21”.
Heidewitzka, jetzt geht das Gewusel los!
Es stehen ca. 800 Leute auf dem Bahnsteig, wovon zwei Drittel mit mindestens einem dicken Rollkoffer ausgestattet ist. Es ist so voll, daß man kaum noch einen Stehplatz ergattern konnte. Ein Drittel hat die Ansage wegen dem Lärm nicht verstanden, guckt irritiert und bleibt im Weg stehen. Ein Drittel hat zwar die Ansage akustisch verstanden, weiß aber jetzt überhaupt nicht mehr, wo welcher Wagen halten wird. Diese Leute bleiben entweder auch stehen, oder rennen in planlosem Zickzack über den Bahnsteig. Das letzte Drittel hat die Ansage verstanden, kurz aufgestöhnt und versucht nun, einen 200m-Sprint über den Bahnsteig mitsamt Gepäck hinzubekommen, während alle anderen im Weg stehen, im Zickzack oder in die entgegengestzte Richtung laufen.
Ich habe das Spiel heute zum zweitenmal gespielt, aber das letzte mal war es gemeiner: Da haben sie die vordere und die hintere Zughälfte vertauscht, so daß die Spieldistanz nicht bloß 200m sondern über die volle Bahnsteiglänge von 400m ging. Das ist besonders gemein für diejenigen, die es nicht mitbekommen hatten, weil man während der Fahrt ja nicht von von der einen in die andere Zughälfte kommt. Es kann also sein, daß man stehen bleiben muß, obwohl man in der anderen Hälfte einen reservierten Sitzplatz hat.
Da kann man mal sehen, was die Privatisierung der Bahn so bringt: Aus dem langweiligen Beamtenapparat ist ein moderner Unterhaltungsbetrieb geworden.