Gelesen: Nerd Attack!
Ich habe gestern das Buch Nerd Attack! vom Spiegel Autor Christian Stöcker zu Ende gelesen.
Eines vorneweg: Ich habe mich selber selten so gut getroffen gefühlt. Das ging wohl auch anderen so. Ich bin bei einem anderen Blogger über die Aussage gestolpert, dass er streckenweise das Gefühl hatte, jemand hätte seine eigene Jugend nacherzählt.
Es ist ein Buch, das versucht, die Sichtweisen, Gefühlswelten und Werte der “Generation C64” zu beschreiben. Falls der geneigte Leser mit dem Begriff “Generation C64” nichts anfangen kann: Das sind die Heimcomputertypen der 80er Jahre, die heute irgendwas zwischen 35 und 45 Jahre alt sind. Das Buch beschreibt diejenigen, die es heute leid sind, ihr Leben lang wahlweise als verpickelte, vereinsamte, trottelige Teenager, kriminelle Hacker, potentielle Kinderschänder und verrohte Computerspieler dargestellt zu werden, die vermutlich sowieso bald Amok laufen.
Es erklärt, warum eine mittlerweile gesellschaftlich relevante Gruppe, dagegen aufbegehrt, dass von mächtigen Interessengruppen und digitalen Analphabeten (was auf mindesten 90% der Politiker in einflussreichen Positionen zutreffen dürfte) massiv in ihr Leben eingegriffen wird.
Es erklärt, weshalb die Piratenpartei scheinbar aus dem Stand auf 8% Stimmanteil bei Wahlen kommt.
Das Buch könnte zum Verständnis dejenigen jenseits des grossen digitalen Grabens, der unsere Gesellschaft spaltet, beitragen. Leider wird es das vermutlich aus zwei Gründen nicht tun:
- Erstens werden es vermutlich nur die lesen, die – so wie ich – der beschriebenen Gruppe angehören und sich bestätigt fühlen.
- Zweitens werden es “die anderen”, selbst wenn sie es lesen, vermutlich trotzdem nicht wirklich verstehen. Sie werden alle Fakten zur Kenntnis nehmen und trotzdem in allen fundamentalen Dingen anderer Meinung bleiben oder sich sogar bestätigt fühlen.
Ein Beispiel: Es ist jemandem, der nie selbst eine Diskettenbox mit 200 Datenträgern voller illegaler Spiele hatte nicht wirklich nahezubringen, wieso man das tut, obwohl es verboten ist und man das auch weiss und trotzdem kein ausgprägtes Unrechtsbewusstsein hat. Weshalb die Gleichsetzung von Urheberrechtsverstössen mit Diebstahl physischer Dinge Unsinn ist. Jeder Teenager damals wusste, dass er 500 raubkopierte Spiele haben konnte und den Spielfirmen trotzdem kein nennenswerter tatsächlicher Schaden entstanden ist. Deshab war es eigentlich auch egal, ob man 20, 100 oder 500 raubkopierte Spiele hatte.
Das wussten übigens auch grosse Softwarehersteller, wie Microsoft und Autodesk. Die sind nämlich unter anderem deshalb Marktführer geworden, weil sie jahrelang bei Privatkopien beide Augen zugedrückt haben. Besser, die eigene Software wird kopiert, als dass die Software der Konkurrenz gekauft wird. Als ihre Software dann endlich von allen benutzt wurde, fing das Gejammer um die angeblich so grossen Schäden an.
Diese Grunderfahrung haben wir seit Jahrzehnten verinnerlicht und stehen deshalb der beständigen Ausdehnung von Copyright und weiteren Immatrialgüterrechten so ablehnend gegenüber. Jemand der diese Erfahrungen nicht hat, sagt einfach nur “Diebstahl ist nunmal strafbar. Was regt Ihr Spinner euch eigentlich so auf?”
Nichtsdestotrotz finde ich das Buch ausgesprochen gut gelungen. Ein treffendes Portait einer Generation. Sehr lesenswert!
Weitere Infos bei Spiegel Online.