Die Krise der westlichen Demokratien
Mich beschäftigt bereits seit einiger Zeit die Frage, weshalb sich die westlichen Demokratien zwar ausgesprochen wehrhaft gegenüber tatsächlichen oder vermeintlichen Bedrohungen von außen zeigen, den internen Zersetzungprozessen aber nichts entgegensetzen; Sie nicht einmal richtig zur Kenntnis nehmen.
Ein kleiner Bereich dieser Problematik ist das planmäßige Zurückdrängen der Bürgerrechte durch die Regierungen, auf das große Teile der Bevölkerung desinteressiert oder sogar mit Zustimmung reagieren. Diese Tendenzen sind nicht nur in Deutschland, sondern in allen westlichen Demokratien festzustellen.
Wenn ich solche Entwicklungen bemerke komme ich mir manchmal vor wie ein außenstehender Beobachter, der sich fragt “Wieso wehren sich die Leute nicht? Ein Staat, der sich von demokratischen Grundsätzen verabschiedet, ist keine Demokratie mehr. Ein Volk, daß sich das gefallen lässt, hat auch keine Demokratie verdient.”
Ui ui – böse Gedanken? Vielleicht.
Demokratie besteht nun einmal nicht darin, alle 4 Jahre einmal ein kleines Kreuz malen zu dürfen, sondern setzt Interesse und aktive Auseinandersetzung mit Strukturen und Mechanismen voraus. Das ist anstrengend. Dazu benötigt man auch ein gewisses Maß an Bildung, über das eben viele leider nicht verfügen.
Ein weiteres Problem sind sicherlich der Verfall der gemeinsamen Werte einer Gesellschaft. Mitglieder einzelner Subkulturen haben global mehr miteinander gemeinsam, als mit ihren unmittelbaren Nachbarn. Das Gefühl hatte ich neulich in San Francisco, als wir durch die “Szene” im mission district gingen. Es ist dort sehr bunt, man gibt sich tolerant und etwas esoterisch. Es gibt Bioläden, gute Restaurants und wirklich sehr guten Kaffee und viele Leute hängen hinter ihren Laptops um irgendeiner Tätigkeit nachzugehen.
Ich habe mich dort wohl gefühlt, aber das Ganze hat mich eher an Prenzlauer Berg erinnert. Das war eben nicht USA – es war eine kleine Enklave eines bestimmten Lebensstils, den man genausogut in Berlin, Barcelona, London oder sonstwo auf der Welt auch finden kann. Es ist eine “Niederlassung” eines globalen Stamms von Mittelklassebürgern, Milchkaffeschlürfern und Medienarbeitern. Das ist der Stamm, dem ich mich zugehörig fühle.
Es gibt natürlich auch andere Beispiele: Der “Schlips und Kragen Stamm” zum Beispiel, dem Manager, Finanzjongleure, Unternehmensberater angehören. Die sind weltweit unterwegs, wollen Wirtschaft global vernetzen akzeptieren keinerlei Grenzen mehr – für sich selbst. Sie finden überall auf der Welt Gleichgesinnte, bewegen sich aber eigentlich nur innerhalb der selbstgewählten Ghettos und haben nirgends etwas mit dem “normalen Volk” zu tun.
Die Krise der Bürgerschaft (citizenship ist etwas schwierig zu übersetzen) thematisiert auch John Horvath in dem Artikel “The Thirty-Third Victim“. Er fragt sich, worin die wirklichen Ursachen für die zunehmende Anzahl von Amokläufen zu finden sind und kommt auf den Verlust des “Common Sense”. Alle Amokläufer fühlten sich als nicht dazu gehörig, als Verlierer, als Ausgestoßene.
Ich glaube, daß sich mittlerweile komplette Teile der Bevölkerung als “nicht dazu gehörig” fühlen. Als Verlierer, als Menschen, denen es nicht einfach nur schlechter geht, sondern die auch noch für ihr eigenes vermeintliche Versagen verantwortlich gemacht werden. Warum sollte man sich für eine Gesellschaft einsetzen, die einen nur noch mit Füßen tritt und anspuckt?
Die Politik gießt leider seit Jahren nur noch Öl ins Feuer, anstatt zu versuchen integrativ zu wirken und auch Menschen, denen es schlechter geht darin zu unterstützen, einen Sinn in ihrem Dasein zu finden. DAS ist meines Erachtens das zentrale Problem des westlichen Staaten:
Der Mangel an Sinn, an Würde und an gegenseitigem Respekt.
Und aus diesem Grunde wirkt der westliche Lebensstil auf viele Menschen nicht mehr erstrebenswert. Deshalb wenden sich Menschen wieder den Religionen zu und fangen an, die wirklichen Errungenschaften der Demokratie zu verachten.