Herausforderungen des Post-Materialismus
Hinter mir liegt eine hyperhektische Woche. Jetzt sitze ich zuhause, denke “Ich sollte mal rausgehen”, während in der Küche die Waschmaschine orgelt.
Ich warte also noch solange, bis die Wäsche fertig ist. Bin sowieso müde. Die Gedanken wandern mal hier- und mal dahin. Ich scanne ein paar Blogs und bleibe bei dem Artikel “Bytes statt Billy: Wenn Kultur unsichtbar wird” auf Spreeblick hängen, in dem sich Johnny darüber Gedanken macht, wie er seine Kinder an ein breites Spektrum von Kultur, Meinungen und Sichtweisen heranführen kann, wenn heutzutage alles nur noch gezielt im Internet abgerufen wird.
So einen Gedanken finde ich spannend.
Unter anderem auch deshalb, weil ich das Für- und Wider elektronischer Medien gerade in einem anderen Zusammenhang abwäge: Wohnen, Energiebilanz und Unabhängigkeit.
Ich bin ja, wie ich schon hin- und wieder schrieb, von der “Tiny-House” Bewegung in den USA fasziniert. Diese enstand in den letzten Jahren als Reaktion auf den dort grassierenden Mega-Haus-Wahnsinn der 90er und 00er Jahren, in der “Einfamilienhäuser” von 400qm als normal galten. Amerikaner neigen ja häufig zu Extremen und so stellten sich einige Enthusiasten die Frage: “Mit wie wenig Zeug komme ich tatsächlich aus?” und bauten Häuser mit ca. 10qm(!) Fläche. Den Klassiker von Jay Shafer habe ich mir ja im letzten Jahr in Sebastopol in Kalifornien selbst angesehen und den Artikel “Rundreise – Kleine Häuser in grosser Landschaft” darüber geschrieben.
Die dahinter stehende Idee ist es, mit so wenig Ressourcenverbrauch wie möglich zu leben. Die Häuser sind winzig, aber so gut isoliert, so dass man im Winter selbst in Oregon nicht viel heizen muss. Das Ziel ist es, komplett “Off-Grid” zu sein, also keine Ver- und Ensorgungsinfrastruktur zu benötigen, und einige schaffen das auch.
Nun sind mir 10qm doch deutlich zu wenig. Aber auf der gestrigen Heimfahrt fielen mir mal wieder die niedlichen kleinen Holzhäuschen neben der A2 in der Nähe von Namitz auf. In so etwas ähnlichem zu wohnen, kann ich mir sehr gut vorstellen. Im Sommer hatte ich ja auch ein kleines Holzhäuschen in Finnland gemietet – Mit satten 25qm Grundfläche! Um in so etwas zu leben, müsste ich allerdings meinen Haushalt etwas entrümpeln. 1/3 des Volumens nehmen alte Bücher, Zeitschriften, Schallplatten (ja – habe ich noch) und CDs ein. Im Prinzip brauche ich das alles nicht mehr. Mir geht es da wie Johnny – bis auf Bücher ist alles durch das Meta-Medium Computer ersetzt worden. Einerseits jedenfalls.
Andererseits hängen viele Erinnerungen an den alten Medien (“sentimentaler alter Sack”) und ich finde ich es einfach schade, wenn das wirklich alles verschwinden würde. Ausserdem stören mich an digitalen Medien einige Dinge wirklich kollossal:
- Die Haltbarkeit. Digitale Formate ändern sich ständig. Was weiss ich, ob ich in 10 Jahren noch meine e-Books lesen kann. Mit einem normalen Buch geht das auch nach zig Jahren noch.
- Die Abhängigkeit. Alles funktioniert nur mit den richtigen Geräten und mit Strom. Sollte es wirklich mal zu einer richtigen Energiekrise kommen, sind wir von unserem Wissen komplett abgeschnitten.
- Know-how Verlust. Viel altes Wissen und handwerliche Fähigkeiten gehen verloren. Computer haben vieles schneller, effizienter und genauer gemacht. Aber ich bin geschockt, daß es heutzutage schon schwierig wird, gute Werkzeuge zum technischen Zeichnen zu bekommen.
- Kontrollverlust. Da wir offensichtlich gerade mit Höchstgeschwindigkeit in die Totalüberwachung rauschen, gefällt mir auch der Gedanke überhaupt nicht, dass jeder Penner (und damit meine ich Medienunternehmen, den Staat, Cyberkriminelle,…) relativ leicht herausfinden kann, was ich lese, höre und sehe. Nicht, dass ich irgendwas illegales mache, aber einen letzten Rest Privatsphäre zu behalten, fände ich schon angebracht. Apple weiss vermutlich nicht nur WELCHE Musik ich höre, sondern auch wie häufig, WANN, in welcher REIHENFOLGE und WO.
Die Zeit, zu der ich wirklich bereit bin, auf physische Datenträger zu verzichten ist jedenfalls noch nicht gekommen. Möglicherweise wird sie das auch nie. Aber solche Gedanken hat ja schon Neil Stephenson in Diamond Age auf die Spitze getrieben. In einer vollkommen auf elektronische Informationsübertragung ausgerichteten Welt, legten die Bewohner einer priviligierten Kleinstadt Wert auf eine täglich erscheinende Zeitung – auf echtem Papier! ;-)
So, ich gehe jetzt mal die Wäsche aufhängen.