In diesem Jahr habe ich wieder die Web Engineering Unconference besucht, die vom 20. bis zum 22. September in Palma de Mallorca stattfand. Mittlerweile eine lieb gewonnenen Gewohnheit und auch dieses Mal waren die Vorträge, Diskussionen und Gespräche interessant und anregend.
Das ist umso schöner, weil Anfang des Jahres durchaus dunkle Wolken am Veranstaltungshimmel zu sehen waren. Das eingespielte Orga Team der letzten Jahre hatte aufgehört. Das neue Team musste sich erst finden, weshalb die Ankündigung recht spät kam. Zwischenzeitlich waren Flug- und Hotelpreise ordentlich gestiegen und das alles in einem wirtschaftliche schwierigeren Umfeld.
Erfreulicherweise wurden trotz der halbierten Teilnehmerzahl auch dieses Mal wieder viele interessante Themen präsentiert. Die informellen Gespräche jenseits der eigentlichen Konferenz waren anregend und vielschichtig.
Das kommt sicherlich auch daher, dass dieses kleine, aber feine Branchentreffen keine herkömmliche Konferenz ist sondern eine Unkonferenz. Hier wird nicht zwischen Zuhörern und Vortragenden unterschieden, sondern jeder kann seine eigenen Themen mitbringen und vorstellen. Alle zusammen stimmen dann ab, welche Themen angenommen werden.
Das kann auch recht spontan sein. Einen eigenen Vortrag hatte ich dieses Mal nicht vorbereitet. Mir ging aber seit längerem ein Thema durch den Kopf, das ich nicht so recht zu fassen bekam. Am Vorabend habe ich das einigen Leuten gegenüber erwähnt und die Reaktion war immer “Mensch, das ist doch relevant und spannend – mach was dazu!”
Das Thema ist ständig steigende Komplexität.
Genauer die Frage, weshalb wir dazu tendieren, Systeme immer komplexer zu machen, bis sie nicht mehr richtig funktionieren oder aktualisert werden können. Konkreter Anlass war das Refactoring einer umfangreichen Software, aber das Problem ist nicht technisch, sondern eher universell.
Die üblichen Ansätze, steigende Komplexität in den Griff zu bekommen, laufen darauf hinaus, neue Werkzeuge und Verfahren zu etablieren, um die Komplexität zu managen. Leider wird das Problem dadurch nicht gelöst, sondern nur verschoben und die Gesamtkomplexität steigt duch die neuen Tools sogar noch weiter an.
Oft wäre es besser, stattdessen die Komplexität zu reduzieren, aber diese Weg wird fast nie gegangen. Mich interessierte die Frage, weshalb das so ist. Zumal das kein technisches Problem ist. Wir sehen dieselben Muster bei allen möglichen Organisation in der Wirtschaft und auf staatlicher Seite.
Ich hatte also Szenarien und Fragen mitgebracht. Passenderweise hatte Julia Dorandt (Beratung Judith Andresen) einen Vortrag vorbereitet, in dem sie Strategien vorstellte, die Individuen nutzen, um in einem komplexen System handlungsfähig zu bleiben. Stichwort “fight flight freeze fawn“. Wir haben also zusammen einen Slot genutzt, in dem ich einleitend die Fragestellung aufgeworfen habe und Julia anschließend die Theorien aus der Verhaltenspsychologie erläutert hat.
Für das Thema haben wir viel positives Feedback bekommen. Ich konnte jedoch leider keine konkreten Handlungsempfehlungen ableiten. Als ich in der darauf folgenden Woche in meiner Firma davon erzählte, wurde das Thema aufmerksam aufgenommen und ich bekam einige gute Hinweise auf Quellen zu dem Thema.
Weitere weiche Themen auf der WEUC waren Neurodiversität, “Talking to people” und Kommunikation in schwierigen Organisationsstrukturen.
Technische Vorträge gab es natürlich auch.
Alexander M. Turek hielt einen Vortrag zu “Strict PHP”. Was bedeutet das, wozu ist es gut und weshalb es nicht reicht, das einfach im Programm zu deklarieren.
Rainer Schuppe (Oberservability Heroes) stellte Open Telemetry vor – ein Framework zur Erfassung von Messdaten. Er demonstrierte Einsatzzwecke und Möglichkeiten zur Datenauswertung.
Und natürlich gab es auch in diesem Jahr wieder einige Slots zum Thema “Künstliche Intelligenz”. Während KI in den vergangenen zwei Jahren eher als enormes Potential gesehen wurde, nimmt nun die tatsächliche Nutzung sprunghaft zu. Beispiele:
Automatisierte Websiteanalyse
Suche in und Zusammenfassung von großen Dokumentensammlungen
Unterstützung beim Programmieren und Einsatz bei personaliserter Akquise.
Automatische Erstellung von “best of presentation” Videos. Der Teilnehmer kommentierte das so: “Das Ergebnis sind so eine Art TikTok Videoschnipsel von unseren Vorträgen.”
Bei generativer KI zur Erzeugung von Bildern und Videos sind die enormen Verbesserungen der letzten zwei Jahre augenfällig, aber es gibt noch immer zu viele eigentümlichen Artefakte. Dennoch wurde gerade die Zusammenarbeit von Runway (AI basierte generierung von Videos) mit der Filmproduktionsfirma Lionsgate bekanntgegeben.
Joschua Ziethen (Yet Another Agency) zeigte interessante Beispiele zum Einsatz von KI Toolchains mit Hilfe von make.com. Zudem hat mich der Bastian Hofmann (Qdrant) zum Thema Vektordatenbanken sehr angesprochen.
Trotz des reduzierten Umfangs gab es also auch in diesem Jahr wieder reichlich spannenden fachlichen Austausch. Ein Teilnehmer meinte sogar, dass er es gut fand, dass wir in diesem Jahr nur zwei, anstelle von drei parallelen Tracks hatten, weil man so weniger verpasst.
Es gibt also viel Positives zu berichten. Dennoch haben mir aber viele von meinen Buddies aus der E-Commerce Szene gefehlt. Ohne Marco, Lars, Fabian oder Thomas ist es nicht so ganz dasselbe. Andererseits habe ich darum bei der Abendgestaltung nicht über die Stränge geschlagen. Das ist dann wiederum ganz gut für die Gesundheit des alten Mannes.
Hat die WEUC noch Zukunft?
Die Diskussion, ob wir die Veranstaltung im nächsten Jahr weiterführen sollen, wurde einstimmig bejaht. Wir waren uns auch einig, dass 50 Teilnehmer die Untergrenze sind und wir eher wieder auf 75 bis 90 kommen sollten.
Diese zusätzlichen Teilnehmer wollen wir vozugsweise in anderen Branchen als e-commerce und außerhalb von Deutschland finden, um die Diversität an Themen und Sichtweisen zu fördern. Denn trotz Englisch als Konferenzsprache wurde der Anspruch, eine internationale Konferenz zu sein, in diesem Jahr nur knapp erreicht.
Bei der Frage, ob es wieder Mallorca sein muss, gab es unterschiedliche Meinungen. Mir selbst ist das nicht so wichtig (“Meinetwegen Kassel oder Bielefeld”), so lange sich eine gute Mischung aus Teilnehmern und Themen findet. Die überwiegende Mehrheit fand jedoch, dass die entspannte Atmosphäre und das Ambiente zum Erfolg der Veranstaltung beiträgt.
Da ist etwas dran. Das Besondere, weshalb ich jedes Jahr gerne wieder teilnehme ist die Offenheit, mit der hier Herausforderungen und Lösungsansätze besprochen werden. Im Gegensatz zu anderen Konferenzen, steht hier nicht Verkauf und Selbstdarstellung im Vordergrund, sondern ehrlicher Gedankenaustausch.
Zum Ende der Veranstaltung ein Zeichen zu setzen, sagte eine Sponsorin bereits die Unterstützung für 2025 zu. Nun ist es an uns, den längeren zeitlichen Vorlauf für eine gute Organisation und Medienarbeit zu nutzen.
Auf dass die Web Engineering Unconference 2025 wieder interessant, spanned und lehrreich wird.
Vom 22. bis zum 24. September fand die Web Engeneering Unconference in Palma de Mallorca statt. Bereits im letzten Jahr bin ich zu dieser Veranstaltung gereist, hatte damals eine ordentliche Portion Skepsis im Gepäck und wurde sehr positiv überrascht (siehe: “Web Engineering Unconference 2022“). Soviel vorneweg: Auch in diesem Jahr hat sich die Teilnahme für mich gelohnt.
Natürlich ist Mallorca stets eine Reise wert aber das Besondere der WEUC liegt nicht nur am Ort, sondern vor allem an der Art der Veranstaltung. Die Teilnehmerzahl ist auf 100 begrenzt. Teilweise kennt man sich schon seit Jahren, es sind aber auch viele neue Gesichter dabei gewesen. Jeder kann ein Thema mitbringen und vorstellen. Daher weiss man im Vorfeld auch nicht, was für Vorträge oder Diskussionsrunden zu erwarten sind. In diesem Jahr hatte ich auch einen Vortrag vorbereitet, den ich erfolgreich gehalten habe – dazu weiter unten mehr.
Da der Teilnehmerkreis mittlerweile sehr international ist, galt das Motto “english only, please!” – und zwar nicht nur für die Vorträge, sondern auch, beim gemeinsamen Essen und Trinken, damit jeder in interessante Gespräche einsteigen kann. Denn davon gab es reichlich.
Socializing
Diese Art Veranstaltung hat immer mehrere Ebenen: Zunächst natürlich die formelle Ebene des Informationsaustauschs in Vorträgen und Diskussionen während des offiziellen Programms.
Und dann gibt es die informelle Ebene: Gespräche zwischen den Pausen, sowie beim gemeinsamen Essen und Trinken. Das ist dann irgendwas zwischen vertiefenden fachlichen Gesprächen, Kontaktpflege und auch purem Spass. Einige Teilnehmer sind zum Beispiel zwischendurch kurz in den Hotelpool gesprungen, bevor die Veranstaltung weiterging.
Ein gemeinsames Abendessen, um den ersten Veranstaltungstag ausklingen zu lassen, gehört dazu. Und die Frage “Are we going to the Shamrock afterwards?” ist schon fast ein Running Gag. Diese irische Kneipe mit Livemusik ist nicht weit entfernt und dafür berüchtigt, dass man super bis in die Morgenstunden feiern kann. Da kommt man schnell in die Zwickmühle zwischen Geselligkeit und dem Ruf der Vernunft. Man muss ja am nächsten Morgen einigermaßen fit sein. Ich bin ja schließlich nicht mehr 20. Oder 30. Oder 40… (oh jeh…)
Technische Themen
An zwei Tagen, in drei parallenen Tracks und 11 Timeslots gab es insgesamt 32 Vorträge und Diskussionen. Aus Platzgründen kann ich hier nur einige nennen:
Alexander M. Turek zeigte in seinem Vortrag “How much database abstraction do i need?” die verschiedenen Ebenen von Datenbankabstraktion und wofür sie am besten einsetzbar sind, am Beispiel von Doctrine.
Ludovic Toison (NFQ Asia) sprach in “From DevOutch to DevOps” darüber, wie man durch vereinfachtes GIT-Branching in Verbindung mit Feature Toggles von relativ langsamen Release Zyklen zu Continuous Deployment kommt.
Dennis Heidtmann (ScaleCommerce) präsentierte in “Smoxy – a new shortcut for better TTFB” einen neuen Smart Proxy, der Load-Balancer, Page-Cache und Imageserver mit einer einfachen, übersichtlichen Nutzeroberfläche verbindet. Somit kann man einen Shop oder eine Symfony basierte Webapplikation sehr einfach erheblich beschleunigen – auch ohne Admin.
Es gab noch viele weitere interessante Themen (Sicherheit in Kubernetes Clustern, Data-Pipelines, was man aus Core-Dump aus gecrashten PHP Prozessen lernen kann etc.), die ich hier gar nicht ausführlich behandeln kann.
Das Top-Thema war natürlich Künstliche Intelligenz. Dazu gab es unter anderem eine Präsentation von Bertrand Lee (BrightRaven.ai) und mehrere Diskussionsrunden im Rahmen der Veranstaltung und in den informellen Treffen am Rande.
Im letzten Jahr gab es noch eine Vorführung der Bild-KIs Dall-E und Midjourney für die staunenden Teilnehmer. In diesem Jahr hatten die meisten bereits selbst mit KI herumprobiert. Die Frage war nicht mehr, ob die Technik genutzt werden wird, sondern nur noch darum wann und wofür sie bereits einsatzfähig ist. Relative Einigkeit herrschte in der Ansicht, dass wir Entwickler schon bald sehr viel anders arbeiten werden. Und der Zeithorizont ist sicher nicht 10 Jahre und vermutlich auch nicht mal 5, sondern eher noch kürzer.
Damit gehen interessante Fragen einher: Der Umgang mit “geistigem Eigentum” (das schreibe ich bewusst in Anführungszeichen, weil ich das Konzept schon immer für dumm gehalten habe), natürlich die soziale Frage, denn frei nach Karl-Marx hat derjenige die Macht, der über die Produktionsmittel verfügt. Und während der Entwickler bisher der Produzent (von Code) ist, wird er im neuen Modell nur noch Nutzer von Wissen sein, das andere bereitstellen. Er wird also vom Produzenten zum Kunden degradiert. Weil das bereits viele verstanden haben, ist in der KI momentan enorm viel Bewegung im Open-Source Bereich, weil die Entwickler ihren Vorteil nicht einfach kampflos den Konzernen übergeben wollen.
Nicht-technische Themen
Für eine Entwicklerkonferenz gab es auch in diesem Jahr wieder viele nicht technische Beiträge.
Maria Adler (Yet another Agency) gab Anregungen, wie man besser und zufriedenstellender mit der weit verbreiteten Ticketsoftware Jira arbeiten kann.
Tobias Schlitt (commercetools) gab Beispiele, wie man Zusammenarbeit und Teamgeist fördern kann, wenn es keine Büro mehr gibt und nur noch remote gearbeitet wird. Denn das tun im e-commerce Bereich mittlerweile ziemlich viele Firmen.
Claudia Bender sprach über “Social Engineering, Cyber Security and Cyber Thread Intelligence”. Das Thema hat mich brennend interessiert, lag aber leider parallel zu einem anderen sehr interessantem Track.
Bei der Vorstellung der Themenvorschläge am ersten Tag sagten nämlich zwei Teilnehmer (die ich hier öffentlich nicht explizit nenne), dass sie gerne über Mental-Health-Probleme sprechen würden, falls das jemanden interessiert. Und darauf hoben sich fast von allen Teilnehmern die Hände. Am Ende wurden es sogar zwei Diskussionsrunden an Tag eins und zwei. Mein Eindruck ist, dass unter ITlern Probleme mit Depressionen und ähnlichem noch deutlich häufiger vorkommen als im Bevölkerungsdurchschnitt. Wir sind aber wohl jetzt an einem Punkt, an dem die Menschen zu verstehen beginnen, dass es sich um ernsthafte Krankheiten handelt, die man nicht einfach langfristig verstecken oder ignorieren kann.
Mein Vortrag
Wie eingangs erwähnt, hatte ich In diesem Jahr auch einen Vortrag vorbereitet. Zu Jahresbeginn fragte ich meinen Arbeitgeber, ob ich etwas zu unseren Erfahrungen der letzten Jahre erzählen darf/soll. Ich bekam grünes Licht und keine Vorgaben.
Herausgekommen ist ein Vortrag mit dem Titel “How to modernise a 12 years old web application – and the whole company”. Im Kern ging es darum, dass man ein für die Firma essentielles Softwareprodukt nicht modernisieren kann, ohne die Organisation drumherum und die Arbeitsweisen neu zu strukturieren.
Zu Beginn ist mir ein peinlicher technischer Fehler passiert, der für 5min Verspätung gesorgt hat und zudem habe ich noch nie einen öffentlichen Vortrag in englisch gehalten. Daher war ich ziemlich nervös. Mir wurde aber hinterher versichert, dass davon nichts zu spüren war und ich souverän rüberkam. Ich möchte mich hier nochmal ganz herzlich bei Alexander M. Turek für seine spontane technische Hilfe danken.
Nach meinem Vortrag und dem Ende der Unconference hat die Zeit noch gereicht, um mit Freunden eine gute Stunde das Strandleben zu genießen, bevor wir später in einem hervorragenden Tapas-Restaurant in der Altstadt ein gemeinsames Abendessen zum Abschied genossen.
An alle, die ich hier nicht explizit erwähnt habe: Ich habe jedes einzene Gespräch genossen und mich während der ganzen vier Tage keine Minute gelangweilt. Es gab unheimlich viele, gute Anregungen. Und selbst wenn ich Themen bereits kannte, konnte ich mich doch bestätigt fühlen, dass wir diese Dinge bei uns in der Firma bereits erfolgreich einsetzen.
Vom 9.-11. September fand in Palma de Mallorca die Web Engineering Unconference statt. Das ist ein Treffen auf dem sich 100 Menschen, die im Bereich Webentwicklung tätig sind, zu diversen Themen austauschen.
Das klingt etwas vage, was daran liegt, dass es sich um eine Unkonferenz handelt. Bei solch einer Veranstaltung gibt es zu Beginn keine feststehenden Vorträge und es ist noch nicht einmal klar, wer überhaupt etwas erzählen oder vorführen wird. Die Idee ist, dass jeder Teilnehmer auch Vortragender sein kann. Jeder kann Themen vorschlagen, über die sie/er/es reden oder etwas erfahren möchte. In einer gemeinsamen Abstimmung wird dann festgelegt, welche Themen genommen werden.
Wie der Veranstalter zu den Teilnehmern zu Beginn sagte: “We provide the rooms, the internet and food. You provide the content”.
Der harte Kern der Teilnehmer und Sponsoren stammt aus der deutschen PHP E-Commerce Szene. Im Gegensatz z.B. zum E-Commerce Camp Jena ist die Web Engineering Unconference jedoch internationaler. Es waren Teilnehmer aus ganz Europa anwesend – darunter auch einige aus Mallorca ;-) und eine Gruppe kam sogar aus Vietnam. Die Konferenzsprache war daher Englisch.
Socializing
Bei solch einer Veranstaltung ist das gegenseitige Kennenlernen und die Kontaktpflege natürlich ebenfalls sehr wichtig, zumal sich aus diesen Gesprächen auch Themen für Vorträge entwickeln können. Fast alle waren bereits am Vortag angekommen, weil am Freitag Abend das erste Zusammentreffen in lockerer Umgebung stattfand: Einer Cocktail Bar am Rande der Altstadt von Palma.
Trotz des gemeinsamen “Vorglühens” startete die Veranstaltung am Samstag Morgen pünktlich um 9:00. Die Vorträge und Workshops begannen nach der Themenfindung um 12:15, wobei es stets drei parallele Tracks gab.
Themen
Herkömmliche Konferenzen sind häufig verkappte Verkaufsveranstaltungen, auf denen die Sponsoren in Vorträgen für ihre Produkte werben. Hier war es anders, weil Techniker unter sich waren, um über interessante Herausforderungen zu reden.
Von denen sind viele gar nicht mal technischer Natur. Es ging zum Beispiel über kulturelle Stolperfallen in internationalen Teams und Herausforderungen, wenn man selbst in anderen Ländern arbeitet. Zu dem Thema konnten die Mitarbeiter von NFQ Asia aus Vietnam einiges erzählen. Methoden zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Arbeit in Zeiten von Homeoffice waren ebenfalls gefragt.
Aber technische Themen kamen natürlich auch vor. Ich habe mir angesehen, wie sich das Headless CMS Storyblok in Shops und andere Websites oder Apps einbinden lässt.
Dass ein Vortrag zum Thema Zeit- und Datumsberechnungen mit viel Interesse aufgenommen wurde, können Nicht-Programmierer eventuell nicht ganz nachvollziehen. Jeder, der schon einmal damit zu tun hatte, weiß aber, dass es ein Thema mit kilometertiefen Abgründen ist. Stichworte wie Zeitzonen, Sommer-/Winterzeit, Schaltjahre, Julianischer und Gregorianischer Kalender können zu vorzeitig ergrauten Haaren beitragen.
Die Mitarbeiter von Shopware leiteten eine für mich sehr spannende Diskussion darüber, wie man komplexe Software automatisiert testet. Welche Arbeitstechniken und Tools sichern die Qualität bei vertretbarem Aufwand?
Mehrere Slots hatten die Grundlagen, wie Webhosting und Sicherheit in Containerarchitekturen zum Thema. Sie wurden u.a. von Mitarbeitern von Suse und Scale gehalten.
Mehrere Vorträge befassten sich im weiteren Sinne mit Künstlicher Intelligenz und Machine Learning. Es gab eine Live Vorführung der beiden viel besprochenen KI Bildgeneratoren Dall-E und Midjourney, die aus kurzen Textbeschreibungen Bilder generieren. Die Ergebnisse reichen von absurd über praktisch bis zu verblüffend. Schnell kam die Frage nach Einsatzszenarien, Zukunft von Grafikern und Anbietern von Stockfotos auf, aber auch inwieweit sich diese Technik mit dem Konzept des Urheberrechts verträgt.
Zwei Mitarbeiter von Scale führten den Stand ihrer Forschung vor, wie sie Machine Learning einsetzen wollen, um im Hosting möglichst in Echtzeit Schwachstellen (Sicherheitslücken, Angriffsszenarien, Performanceprobleme etc.) entdecken zu können.
Zwischendurch war für das leibliche Wohl gesorgt. Sowohl die Mittagessen am den beiden Konferentagen, als auch das Abendessen am Samstag fand im Restaurant des Konferenz Hotels INNSIDE Palma Bosque statt.
Ein technisches und optische Highlight war die Vorführung des fotorealistischen 3D Konfigurators für Audi. Ursprünglich wurde die Technik entwickelt, um in den Showrooms per VR Brille jede mögliche Fahrzeugkonfiguration in 3D vorführen zu können. Dies wurde so weiter entwickelt, dass diese Echtzeitrenderings auch in jedem Webbrowser angesehen werden können. Grob zusammengefasst nimmt der Browser die Steuerbefehle entgegen, schickt sie per WebRTC an eine Renderengine in der Cloud, die das Ergebnis in Echtzeit berechnet und per Videostreaming an den Browser zurücksendet.
Die Wirkung ist verblüfend. Die Fahrzeuge lassen sich in jedem beliebigen Blickwinkel von außen und innen ansehen. Man kann jederzeit die Farbe, Räder und sonstige Ausstattung ändern, Türen und Kofferraum öffnen und schließen und sich das ganze in verschiedene Tag- und Nachtszenarien anzeigen lassen. Die Animationen sind butterweich, die Bildqualität extrem hochwertig, inklusive der Reflexionen der Umgebung.
Wie ich bereits schrieb, finden interessante Gespräche häufig abseits der Konferenzräume statt. So hatte ich mit einem Mitarbeiter von Innogames ein interessantes Gespräch über Personalführung und Karrierewege. Andere Gespräche hatten auch politische Dimensionen, wie Datenschutz, Mobilitätsverhalten und Umweltschutz auf individueller und struktureller Ebene. Und so schaffe ich die Überleitung zum Elefanten im Raum:
Denkt denn keiner an die Umwelt?
Wobei – die Umweltfrage ist eigentlich kein Elefant im Raum mehr, weil sie eben doch angesprochen wird.
Diese Web Engineering Unconference findet bereits seit einigen Jahren statt und natürlich wird die Frage diskutiert, ob es man überhaupt noch eine Veranstaltung abhalten sollte, bei der die meisten Teilnehmer mit dem Flugzeug anreisen.
In der Diskussion stand eine Verlegung an einen Ort, der zentraler liegt und per Bahn erreicht werden kann. Aufgrund der internationalen Teilnehmer ist es aber so, dass es diesen zentralen Ort nicht gibt und in beinahe jedem Fall mindestens ein Drittel per Flugzeug kommen würde.
Diese etwas unbefriedigende Situation hat man damit etwas abgemildert, indem pro Teilnehmer Umweltzertifikate für die Flugkompensation bezahlt wurden. Manche kommen auch mit Partnern/Famile und kombinieren das mit einem Urlaub, den sie ohnehin gemacht hätten. Viele haben ihre alltägliche Zwangsmobilität durch Homeoffice auch so heruntergefahren, dass sie nur noch wenige, aber dafür inhaltlich effektivere Treffen zum persönlichen Austausch, wie diese Veranstaltung besuchen.
Immerhin gibt es das Problembewusstsein und viele versuchen damit konstruktiv umzugehen. Das war auch an der sehr anregenden Diskussion zu merken, deren Ausgangspunkt war, wie wir Entwickler dazu beitragen können, dass unsere Software weniger Strom verbraucht. Zu Beginn wurde die Frage gestellt, welche der Frameworks und Libraries, die wir verwenden, den wenigsten Rechenaufwand erfordern. Aber schnell wurde klar, dass das nur ein kleiner Teil des Problems ist.
Sicherlich ist die Frage, weshalb ein einfacher E-Mail Client heutzutage eigentlich hundert mal soviel Speicher verbraucht, wie ein komplettes Betriebssystem vor 25 Jahren richtig und wichtig. Andererseits sind die hier erreichbaren Reduzierungen wenig wert, solange Geschäftsmodelle wie Streaming und KI zu explodierenden Datenmengen sorgen. Das oben erwähnte technisch sehr beeindruckende 3D Konfigurator von Audi ist zumindest in dieser Hinsicht sicherlich ein sehr schlechtes Beispiel.
Fazit
Ich war mir trotz Neugier zu Beginn nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, an dieser Konferenz teilzunehmen. Ich arbeite ja bereits seit einiger Zeit nicht mehr im Bereich E-Commerce und befürchtete, dass mich die Themen nicht ansprechen würden. Die Teilnahme habe ich aus eigener Tasche bezahlt und für nur vier Tage zu fliegen, möchte ich eigentlich mittlerweile auch vermeiden.
Zum Schluss war ich aber doch froh, teilgenommen zu haben. Die Bandbreite der Themen war groß, die Anregungen, die ich mitgenommen habe, waren vielfältig und die Gespräche, die ich hatte waren angenehm und interessant. Zudem habe ich liebe und interessante Menschen wiedergesehen. Ich bin mir sicher beim nächsten Mal wieder dabei zu sein und dann auch ein interessantes Thema vorzubereiten.
Vor einiger Zeit habe ich mir ein sehr unterhaltsames Buch gekauft: “how to – Wie man’s hinkriegt” von Randall Munroe, dem Cartoonisten von xkcd. Genau wie in seinen Cartoons wandelt er in dem Buch gekonnt unterhaltsam zwischen Wissenschaft und Wahnsinn.
Munroe ist Mathematiker, Physiker und hat als Robotik Ingenieur für die NASA gearbeitet. Sein Humor besteht hauptsächlich darin, scheinbar banale Alltagsfragen als Ausgangspunkt für völlig abseitige wissenschaftliche Erklärungen zu nutzen. Das Ganze wird von simplen Strichmännchen Zeichnungen illustriert. Genau so funktioniert auch das Buch.
Als Beispiel sei Kapitel 7 genannt: “Wie man’s hinkriegt, einen Umzug zu stemmen.” Das Kapitel beginnt recht harmlos mit Überlegungen zur Menge von Umzugskisten und wie sie am Besten zu transportieren sind. Von Seite zu Seite werden die Überlegungen aber immer abstruser. Schnell ist man an dem Punkt, keine Kisten zu packen, sondern gleich das ganze Haus mitzunehmen. Ein durchschnittliches (US Amerikanisches) Haus schätzt er möbliert auf ca. 70t Gesamtgewicht. LKW Transport wird schnell verworfen. Besser wäre es, das Gebäude durch die Luft zu transportieren. Hubschrauber sind zu schwach und Flugzeuge zu klein dafür. Aber man könnte die Triebwerke einer Boeing 787 direkt an das Haus montieren (Ahh-ja…). Die Triebwerke liefern 30t Schub und wiegen 5,8t. Für den Transport eines kleinen Hauses genügt das. Nach einer kleinen Abhandlung über die Funktionsweise moderner Flugzeugtriebwerke wird noch der Frage nachgegangen, wie lange das Haus fliegen könnte. Die Zeit wird begrenzt durch den Kerosinverbrauch und die Frage, wie viel Kerosin man mitnehmen kann, ohne das maximale Startgewicht zu überschreiten. Die maximale Flugzeit des Hauses beträgt weniger als 1,5 h.
DAS wollte man doch schon immer mal für den nächsten Umzug wissen, oder? ;-)
Atombomben als Flaschenöffner
Noch etwas abseitiger ist Kapitel 2 “Wie man’s hinkriegt, eine Poolparty zu schmeißen”, in der es darum geht, wie man einen Pool im Garten bauen und mit Wasser befüllen kann. Der Gipfel des gekonnten Blödsinns ist mit dem Vorschlag erreicht, den Pool mittels Mineralwasserflaschen zu füllen. Natürlich braucht man sehr viele (ca. 150.000) und eine Methode, die Flaschen möglichst schnell zu öffnen und zu entleeren. Mit einem Schwerthieb könnte man ca. 24 Flaschen gleichzeitig öffnen (angeblich gibt es dazu Videos auf Youtube). Für mich einer der Höhepunkte des Buches ist der folgende Abschnitt, den ich einfach mal zitiere:
“Bevor wir das Thema Waffen hinter uns lassen und zu einer praktikableren Lösung übergehen, sollten wir noch für einen Moment die größte und unpraktischste Option in Erwägung ziehen – das Flaschenöffnen mithilfe von Nuklearwaffen. Das ist ein ganz und gar lächerlicher Vorschlag, und so verwundert es nicht, dass er im Kalten Krieg von der US Regierung untersucht worden ist. Anfang 1955 kaufte eine Regierungsbehörde […] Bier, Limonade und Selterswasser in lokalen Geschäften ein und testete dann Nuklearwaffen an ihnen. […] Mit dem Test wollte man herausfinden, wie gut die Behältnisse überlebten und ob der Inhalt kontaminiert war.”
Ihr seht, wie in etwa der Humor von Munroe funktioniert. Schön sind auch die Abschnitte, in denen er Fachleute in Bestimmten Disziplinen um Rat fragt. Wozu er die Tennisspielerin Serena Williams gefragt hat lasse ich mal als Cliffhanger offen.
Schön ist Kapitel 5 “Wie man’s hinkriegt, eine Notlandung zu meistern”, in dem er viele Fragen nach auf den ersten Blick wirklich absurden Szenarien an den Testpiloten und Astronauten Oberst Chris Hadfield stellt. Zitat:
“Eigentlich hatte ich mehr oder weniger erwartet, dass er nach der zweiten oder dritten Frage auflegen würde, doch zu meiner Überraschung beantwortete er alle Fragen, ohne dass ich irgend ein Zögern ausmachen konnte. (Im Nachhinein denke ich, dass mein Plan, einen Astronauten zu verwirren, indem man ihm mit Extremsituationen kommt, wohlmöglich unausgereift war.)”
Mehr wird nicht gespoilert. Wer bis hier vergnügt mitgelesen hat, für den ist dieses Buch eine echte Empfehlung.
Dirk Ollmetzer | Tuesday, 3 March 2020 | Misc, Unterwegs
Letzte Woche war ich für ein paar Tage in London. Zwei Dinge waren diesmal neu: Erstens war war das mein erster Besuch in London seit dem Austritt des United Kingdom aus der EU. Zweitens war ich diesmal kein “Voll-Tourist”, weil ich einen Freund besucht habe.
Von ersterem habe ich nicht allzu viel mitbekommen. Wie bereits seit über tausend Jahren bezahlt man dort weiterhin mit dem Pfund. Ebenfalls wie bereits vor dem Brexit musste man mit Ausweis oder Reisepass reisen, da das Vereinigte Königreich sich nie dem Schengen Abkommen angeschlossen hatte. Ein Visum ist zumindest für einen einfachen Besuch nicht nötig. Ich hoffe, das bleibt auch so. Man muss es ja nicht auf die Spitze treiben.
So weit also alles, wie bereits bekannt.
Einen anderen Charakter hat die Reise für mich aber dadurch bekommen, dass ich einen Freund besucht habe, der seit kurzem in London arbeitet. Also habe ich nicht in einem Hotel in der Innenstadt übernachtet, sondern in seinem Mini-Appartement in West Hampstead. Das fühlt sich mit seinen typischen zweigeschossigen Reihen- und Doppelhäusern und der Hauptstraße mit den kleinen Geschäften dann schon wie in einer Kleinstadt an – bloß dass diese “Kleinstadt” zig Kilometer in jede Himmelsrichtung geht.
Mein Freund hat mich am Dienstag vom Flughafen Heathrow abgeholt und wir sind zunächst per Bus zu seiner Bude gefahren, damit ich meine Sachen dort ablegen kann. Ich hatte mich in London bisher immer mit der U-Bahn fortbewegt. Mit dem Bus dauert es zwar länger, aber man bekommt ein ganz anderes Gefühl für die Struktur der Stadt. Wie die Orte zusammenhängen, welche Gebäude und Geschäfte dort sind, wer vermutlich dort wohnt (mit viel oder wenig Geld, eher britische oder eher ausländische Bewohner usw.). Das waren neue Eindrücke mich.
Ein weiterer Vorteil der Busse: Sie sind mit pauschal 1,50 wirklich günstig und fahren in kurzen Abständen in fast jeden Winkel der Stadt. So bin ich “aus Versehen” an interessanten Ecken der Stadt vorbeigekommen – zum Beispiel an den Abbey Road Studios. Umweltschonend sind die Busse dank Hybridantrieb ebenfalls. Die meiste Zeit fahren sie elektrisch. Trotzdem – wenn man es eilig hat kommt man um die Bahn nicht herum. Ich habe am Mittwochnachmittag vom Piccadilly Circus nach Cricklewood (Luftlinie ca. 8Km) mit dem Bus weit über eine Stunde benötigt. Tags drauf vom Shard am Bahnhof London Bridge (10km Luftlinie) nur 40 Minuten.
Sightseeing
Mein Freund arbeitet seit knapp drei Monaten in London und war seit dem mit Arbeiten, Wohnungssuche, Arbeiten, Sonderschichten und Arbeiten beschäftigt – hat also von der Stadt bisher kaum etwas gesehen.
Dagegen hatte sich bereits meine Mutter brennend für London interessiert und das hat ein wenig auf mich abgefärbt. Daher kenne ich auch die eine oder andere Annekdote, geschichtliche Eckdaten und Orte abseits der üblichen Touristenrouten und habe ich den “Reiseleiter” gespielt.
Den ersten Abend haben wir zum Teil im Bike Shed Motorcycle Club verbracht. Ein wirklich netter Treffpunkt für die Custom Motorrad Szene mit Restaurant, Bar/Lounge, Barber und Shop für stilsichere Motorrad Klamotten. Es gibt eine Bike Garage für Gäste und es stehen mehrere interessante Maschinen verteilt im Laden. Das Ganze findet sich etwas versteckt in den Bögen des Bahnviaduktes in der Old Street in Shoreditch.
Den halben Mittwoch haben wir in Camden verbracht. Ein Bummel über den Camden Market auf dem ich auch bereits mit meiner Schwester war, durch Camden Town, am Regent’s Canal entlang bis zur Wellington Road.
Dann musste mein Freund leider zur Arbeit und ich habe mich in die City begeben um eine TARDIS zu kaufen, die ich jemandem als Mitbringsel versprochen hatte. Es stellte sich zu meiner Verblüffung als relativ schwierig heraus, Dr. Who Merchandise zu finden. Zauberstäbe (Harry Potter) gab es überall, aber eine Raum-Zeitmaschine fand ich nur noch als Restposten bei Hamleys in der Regent Street. In diesem erstklassigen Spielzeuggeschäft war ich vor genau 40 Jahren mit meiner Mutter gewesen. Das fiel mir ein als ich das Geschäft wieder verlassen hatte. Dann dachte ich daran, dass sie seit 5 Jahren tot ist und bin sentimental geworden. Ein Spaziergang um den St. James’s Park entlang an der Royal Society, dem Institute of Contemporary Arts, den Horse Guards und dem Buckingham Palace hat mich wieder etwas beruhigt bevor ich zurück zum Appartement fuhr.
Der Donnerstag Morgen überraschte uns mit Schneefall und so haben wir zunächst nach Indoor Aktivitäten gesucht. Eine Besonderheit, die ich mir seit langem ansehen wollte war das Postmuseum. Dort kann man unter anderem die 2003 außer Dienst gestellte Mail Rail besichtigen: Ein komplexes Mini-U-Bahn System zum Transport von Briefen, das sich mit einer Netzlänge von 35Km von der Paddington Station im Westen bis zum Eastern District Post Office in Whitechapel unter der City hindurchzieht und insgesamt 8 Bahnhöfe und Umladepunkte unter wichtigen Postämtern hat.
Die Tunnel liegen durchschnittlich in 20m Tiefe und wurden mit derselben Technik, wie die Tube errichtet. Sie sind aber wesentlich enger. Die Züge fuhren automatisch auf 610mm Schmalspur. Mer Information gibt es hier. Zwischen Tube und Mail Rail gibt es keine Verbindung.
Im Mount Pleasant Mail Centre kann man teile des Streckennetzes mit speziell angefertigten Mini-Zügen als Besucher befahren. Man darf allerdings weder zu groß, noch zu dick sein und unter Platzangst sollte man auch nicht leiden, weil die Züge und Tunnel wirklich extrem eng sind. Die Präsentation ist sehr gelungen. Ein echter Tipp für Technikinteressierte.
Nach dem Besuch des Postmuseums wurde das Wetter freundlich. Daher liefen wir zu einem weiteren Ort, der mich als halber Stadtplaner interessierte: Zum Barbican. Dieser riesige Gebäudekomplex aus dem 70er Jahren ist im Brutalismus Stil gebaut worden und beherbergt neben über 2000 Wohnungen viele Einrichtungen für Kunst, Kultur, Musik und Theater.
Das Barbican weist alles auf, was den Brutalismus ausmacht: Quadratkilometerweise Sichtbeton, Punkthochhäuser, Überbauung von Straßen, höhergelegte Fußgängerbereiche, mehrgeschossig aufgeständerte Zeilenbauten, Abschottung zur Stadt, verwinkelte Durchgänge und Treppen.
Neben der schieren Größe faszinierte mich vor allem der gute Zustand der Anlage. Alles im Originalzustand. Nichts war kaputt oder sichtbar geflickt, kein Balkon hatte eine Satellitenschüssel. In keiner der zahlreichen Ecken, Treppen und Durchgänge roch es nach Urin, nirgendwo lungerten zwielichtige Gestalten herum und nirgendwo war Graffiti. Nicht etwa, dass es entfernt worden wäre – es war nie Graffiti auf den jungfräulichen Betonwänden.
Stattdessen gab es ruhige Innenhöfe mit Gras, Bäumen, Wasser und einigen Besuchern, die sich im Windschatten der Hochhäuser sonnten. Die ganze Szene wirkte, wie direkt vom Reißbrett der Planer aus den 60er Jahren. Ich fragte mich, weshalb genau diese Anlage von den üblichen Verwüstungen verschont geblieben ist.
Direkt neben dem Barbican liegt das Museum of London, das halb über einen Kreisverkehr gebaut wurde. Abgesehen von der aktuellen Sonderausstellung “London Calling” über The Clash liefert das Museum einen umfassenden Überblick über die Geschichte der Stadt von vorgeschichtlicher Zeit über die Zeit der Römer, des Mittelalters bis zur großen Pest und dem großen Feuer. Der zweite Teil der Ausstellung beginnt mit der Renaissence und reicht über die Viktorianische Zeit bis zur Gegenwart.
Der Eintritt ist kostenlos. Die Ausstellung so sehr umfangreich und liebevoll gestaltet, dass ich mich im Anschluss zu einer Spende entschlossen habe. Kurz vor dem Ausgang hat uns ein junger Mitarbeiter gefragt, ob wir an einer Umfrage zu einem Teil der Ausstellung teilnehmen würden, was wir taten. Im Anschluss ergab sich noch ein recht spannendes Gespräch über London, Berlin, Stadtplanung und Geschichte in dessen Verlauf wir die beiden Gründe für den hervorragenden Zustand des Barbican erfahren haben. Erstens ist die zentrale Lage sehr begehrt – dementsprechend wohlhabende Klientel wohnt dort. Zudem gehört dieser Bereich von London aufgrund der höchsten Terrorwarnstufe zu den bestüberwachten Gebieten des Vereinigten Königreiches, für das zudem eine eigene Polizeieinheit abgestellt wurde. Und das nicht erst seit 2001. Ich erwähnte, dass ich mich noch an die IRA Anschläge aus den 70er und 80er Jahren erinnerte, was mit Nicken erwidert wurde.
Den Rest des Nachmittags schlenderten wir durch die City. Die St. Pauls Cathedral konnten wir leider nicht besichtigen. Wer kann schon damit rechnen, dass dort ein Gottesdienst abgehalten wird? ;-)
Der Abschluss war ein Spaziergang durch Southwark zum Bahnhof London Bridge, wo wir durch die Massen der Büroangestellten, die gerade aus den Hochhäusern in die Underground strömten mitgerissen wurden. Die Tube haben wir in Kilburn verlassen um dort noch einmal zusammen essen zu gehen.
Leider war mein Aufenthalt damit schon wieder beendet, aber ich habe ja jetzt einen guten Grund, wieder nach London zu reisen. Mir wird auch für das nächste Mal sicher das eine oder andere einfallen.
Dirk Ollmetzer | Saturday, 1 February 2020 | Misc, Umwelt
Das Umweltbundesamt bietet einen CO2 Rechner an, mit dem man ziemlich gut seine eigene CO2 Bilanz schätzen kann. Dabei werden die wesentlichen Daten zu Wohnung, Heizung, Stromverbrauch, Mobilität, Ernährung und sonstigem Konsum abgefragt.
Von diesem Angebot (https://uba.co2-rechner.de/de_DE) habe ich gleich mal Gebrauch gemacht. Der Deutsche Durchschnitt liegt momentan bei 11,61 Tonnen CO2 pro Jahr. Und siehe da – obwohl ich ein dickes Auto habe und Fleischesser bin, liege ich mit 9,22 Tonnen CO2/Jahr spürbar darunter.
Aber jetzt fängt der Spaß ja erst an. Das schöne an solchen Tools ist es, dass man verschiedene Szenarien vergleichen kann. Daher habe ich auch mal andere Jahre durchgerechnet, in denen ich anders gelebt habe als heute und verglichen. Dabei habe ich festgestellt, dass ich mit etwas auf- und ab in den letzten Jahren immer besser geworden – nämlich um ca. 57% seit 2000. Das klingt zunächst toll, ich kam allerdings von einem sehr hohen Niveau. Für das Jahr 2000 habe ich 21,56 Tonnen CO2 ausgerechnet. Laut Statista hat sich im selben Zeitraum die Pro Kopf Emission in Deutschland um 16,5% reduziert. Statista legt allerdings niedrigere absolute Zahlen als das Umweltbundesamt zu Grunde.
Erkenntnisse aus dem Vergleich 2000 und 2019
Lässt sich aus dem Vergleich meiner Werte für die unterschiedlichen Jahre irgendeine Erkenntnis gewinnen? Zunächst stellt sich die Frage, was 2000 so schlecht war. Im Wesentlichen sind es die folgenden Punkte:
Berufsbedingte Flüge. Damals bin ich als Berater fast jede Woche nach Zürich geflogen. Am Montagmorgen hin und am Donnerstagabend zurück.
Dazu kommen noch mal 15.000 Km mit dem Auto. Ich bin damals sehr gerne zum Entspannen am Wochenende nach Pommern aufs Land gefahren oder habe meine Familie. Das waren jeweils 300Km Strecke.
Ich habe in Berlin alleine gewohnt und hatte recht viel alte stromfressende Technik im Einsatz.
Im Gegensatz dazu habe ich mir 2019 nur einen Urlaubsflug nach Italien gegönnt. Mit dem Auto bin ich nur sehr wenig gefahren und kürzere Fahrten habe ich häufig mit dem verbrauchsgünstigeren Motorrad anstelle des Autos zurückgelegt oder habe die Öffentlichen genutzt.
Ein großer positiver Posten in der 2019er Bilanz ist auch, dass ich mir die Wohnung mit einer anderen Person teile und dennoch der Stromverbrauch um 42% geringer ist als 2000. Moderne Technik seit dank.
Nachtrag
Alles ist relativ. Zwar liegen mein CO2 Emissionen mit 9,2t etwas unter dem Schnitt in Deutschland und 40% unter dem Schnitt in den USA, aber immer noch doppelt so hoch wie im weltweiten Schnitt und ca. 4 mal so hoch, wie sie es maximal sein dürften, um den Klimawandel zu stoppen.
Einige von Euch wissen, dass ich hin und wieder einen kleinen Track bastele. Die meisten davon bleiben als unfertige Fragmente, Soundschnipsel, Rhytmus und Akkordübungen auf der Festplatte meines Musikrechners.
Aber wenn ich so ca. 10 Stücke soweit habe, dass man sie anderen Menschen vorspielen kann, ohne damit gegen die Genfer Menschenrechtskonvention zu verstoßen, mache ich daraus MP3, bringe sie in eine sinnvolle Reihenfolge, bastele ein Cover dazu und nenne das “Album” – so wie früher.
Jetzt ist es wieder so weit. 11 Stücke sind fertig und mein neues “Album” heißt ‘next’. Viele Stücke haben keine klassische Songstruktur, sondern sind eher Soundtrack zu einem imaginären Film.
Verwendete Technik
Die Stücke habe ich mit Bitwig Studio 2 und 3, sowie mit Reason 10 komponiert und arrangiert. Dabei sind u.a. klassische Instrumente, wie ARP2600, Buchla Easel, DX7, Matrix12, und CMI Fairlight V als “virtuelle Nachbauten” aus der V Collection von Arturia zum Einsatz gekommen. Von Arturia stammt auch das Masterkeyboard Keylab 88, mit dem ich die Stücke eingespielt habe. Die Wandlung zu MP3 Dateien habe ich mit Audacity vorgenommen und die MP3 Tags mit Picard von MusicBrainz bearbeitet.
Coverfoto
Das Foto habe ich im Sommer auf der Dachterrasse des ehemaligen Debis Hochhauses im Potsdamer Platz Areal aufgenommen.
Hinweis zum Urheberrecht
Wie für meine komplette Homepage gilt auch für meine Musik die Creative Commons Lizenz cc-by-nc-nd.
Das bedeutet, dass die Musik privat gehört und kopiert werden darf,
solange der Copyright Inhaber korrekt und vollständig genannt wird. Eine
Bearbeitung und kommerzielle Nutzung ist nicht gestattet.
Dirk Ollmetzer | Sunday, 12 May 2019 | Misc, Unterwegs
Am 12. Mai 2019 fand der 24. Motorradgottesdienst in Friedrichswalde statt und ich war dort. Das mag verblüffen, weil ich alter Heide ja nicht an Gott glaube und vor ziemlich genau 30 Jahren aus der Kirche ausgetreten bin. Aber man hat mich mit Schokolade der Aussicht auf eine Probefahrt mit der neuen Suzuki Katana dorthin gelockt.
Und das Fazit schon mal vorneweg – es war eine tolle Veranstaltung.
Zum ersten Mal habe ich genau ein Jahr zuvor davon gehört, als ich mich bei einem Ausflug in Joachimsthal über hunderte von Motorrädern gewundert habe, die durch den Ort fuhren. Da wurde mir gesagt, dass das jedes Jahr so sei, weil im Nachbarort ein Motorradgottesdienst abgehalten wird. Der Pfarrer sei da sehr engagiert.
Vor der Dorfkirche
Die Gegend
Für die Nicht-Berliner: Friedrichswalde und Joachimsthal liegen ca. 70Km nördlich von Berlin im Biospärenreservat Schorfheide / Chorin. Das ist eine schöne, recht dünn besiedelte Landschaft mit viel Wald und einigen Seen. Berlin ist für Motorradfahrer nicht so spannend, weil die Stadt groß, der Verkehr dicht ist und die Straßen schnurgerade sind. Hier oben gibt es eine schöne Landschaft mit viel Wald, einigen Seen und ein paar Straßen, die sogar Kurven haben. Die Gegend wird also am Wochenende gerne von Berlinern auf zwei Rädern besucht – mit und ohne Motor.
Das Rahmenprogramm
Bereits an den beiden Tagen vor dem Motorradgottesdienst gibt es Gesangs- und Tanzveranstaltungen. Der Höhepunkt ist dann der Sonntag, an dem mindestens tausend Biker in die 750 Seelen-Gemeinde “einfallen”. Es gibt ein Rahmenprogramm mit Livemusik, Motorradtestfahrten von Suzuki (wozu ich eingeladen worden bin) und nach dem Gottesdienst eine gemeinsame Ausfahrt von hunderten Bikern.
Sammeln zur Ausfahrt
Bei einer derartigen Menge von Maschinen ist fast alles vertreten: Cruiser, Tourer, Brot-und-Butter Maschinen, Dukes, Sportler. Ein- bis Sechszylinder, Zwei- und Viertakter und auch so manches historische Schätzchen. Auf dem Weg ins Dorf fuhr ich hinter einem Pärchen auf einer top restaurierten Jawa.
Hintereinander: EMW, BMW und DKW
Die Suzuki Katana
Bevor ich zum eigentlichen Punkt komme, möchte ich noch kurz von meiner Probefahrt berichten.
Als Jugendlicher hatte ich mich bereits für Motorräder interessiert und war 1981 total begeistert von dem extremen Design der Suzuki Katana. Andere Hersteller bauten Motorräder, die alle einigermaßen praktisch und ähnlich waren, aber dieses Gefährt schien direkt aus dem Weltall zu kommen (Star Wars?). Das polarisierte. Man konnte die Maschine nur extrem hässlich oder extrem genial finden. Ich gehörte zu den letzteren.
Die Gerüchte über eine neue Katana habe ich in den letzten Jahren interessiert verfolgt. Es gab sehr viel Möglichkeiten, stilistisch etwas falsch zu machen. Das normale Motorraddesign hat sich in den letzten 40 Jahren so radikalisiert – wie sollte da das Erbe glaubwürdig in die Gegenwart gerettet werden ohne beliebig zu wirken?
In meinen Augen hat es Suzuki geschafft, die Essenz des Originals bei dem neuen Motorrad zu treffen. Nun war ich gespannt, wie es sich fährt. Ich hatte zunächst Bedenken, weil die Maschine doppelt so viel Zylinder und doppelt so viel Leistung, wie meine SV650 hat. Der 1000ccm Vierzylinder leistet ziemlich heftige 150PS.
Katana Black – das Motorrad von Darth Vader?
Die geführte, halbstündige Tour kann selbstverständlich nur einen ersten Eindruck vermitteln. Man sitzt ziemlich aufrecht – gar nicht mal so viel anders, als auf der SV, aber es ist deutlich zu spüren, dass man es hier mit einem ganz anderen Kaliber zu tun hat. Der Vierzylinder ist breiter und der nicht allzu laute, aber etwas heisere Klang im Leerlauf lässt einen schon das Inferno erahnen, dass einen erwartet, wenn man mal richtig aufdreht. Aber von aufdrehen konnte keine Rede sein. Ich fuhr das Modell in klassischem Silber mit jungfräulichen 300km auf dem Tacho. Die Drehzahl blieb also meist unter 4000 U/min. Der Motor ist ein Sahneschnittchen. zieht sanft, aber kräftig von unten heraus und hat dabei einen wirklich schönen Klang ohne laut zu werden. Ich kann mir gar nicht vorstellen, was für ein Feuerwerk abgeht, wenn man den hochdreht. Das Fahrwerk strahlt ruhe aus. Die Katana lässt sich nicht ganz so leicht einlenken, wie die SV, aber die Tour ging zum Teil recht flott um die Ecken und die Maschine liegt ruhig und stabil in der Kurve.
Wirklich nett!
Der Gottesdienst
Wie erwartet, passten bei weitem nicht alle angereisten in die kleine Dorfkirche. Ich habe noch einen Stehplatz auf dem Balkon (oder Empore oder wie sagt man dazu?) in der dritten Reihe erwischt. Der Gottesdienst selbst war erfrischend originell und kurzweilig. Anstelle von Orgelmusik gab es eine Rockband, die Soundtechnisch etwas in Richtung AC/DC ging – aber natürlich mit religiösen Texten und einen Chor, der u.a. Gospel sang (“Down to the river to pray”). Pfarrer Schwieger stand in Ledekutte vor der Gemeinde. Seine Ansprache handelte natürlich von Themen, die Motorradfahrer interessieren, aber die Botschaft war, wie sich jeder um Ausgleich und Toleranz bemühen kann und soll. Die eigenen Schwächen ließ er dabei nicht unter den Tisch fallen (“Es kann sein, dass meine Auspuffanlage auch etwas zu laut ist, aber fahre ich eben ruhig durch die Orte”).
Gottesdienst mit Rockmusik
An diesem Tag wurde mir wieder deutlich, dass es bei der ganzen Kirchen-Geschichte nicht ausschließlich um den Glauben an Gott geht (damit kann ich nichts anfangen), sondern auch um das kulturelle und soziale Miteinander. Und genau bei diesen beiden Punkten hat die Gesellschaft zunehmend arge Probleme. Ich komme da schon ins Grübeln. Und genau das ist es ja, was so eine Ansprache bezweckt.
Mein Fazit
Es war ein schöner Ausflug, eine tolle Veranstaltung und ein interessanter Gottesdienst. In einer Zeit, in der sich Leute über jeden Kram aufregen, Streckensperrungen für Motorräder und sogar komplette Innenstadtsperrungen in der Diskussion sind, fand ich es sehr erfrischend, wie die Bewohner von Friedrichswalde und den umliegenden Orten mit der Veranstaltung umgehen.
Immerhin führt die enorme Menge an Motorrädern nicht nur zu kurzfristigen Sperrungen für den Durchgangsverkehr, sondern auch zu einem gewissen Lärmpegel. Da aber die absolute Mehrheit der Biker (also eigentlich alle) ruhig und zivilisiert fuhren und niemand durch lautes, hochtouriges Fahren, Wheelies oder ähnliches Rumgeprolle gestört hat, nahmen es die Bewohner als willkommene Abwechselung in der sonst extrem ruhigen Gegend.
Die Jugendlichen mischten sich in das Getümmel, im Dorf haben es sich viele vor ihren Häusern mit Gartenstühlen, Grill oder Kaffeegedeck gemütlich gemacht um dem Treiben zuzusehen. Auf dem Rückweg standen in den nächsten Orten Familien am Wegesrand und die Kinder haben den Motorradfahrern zugewunken.
Ich hoffe, dass diese sympathische Haltung nicht an den nächsten Wochenenden durch lautstarke Möchtegern-Valentino-Rossis gestört wird.
Für einen medialen Aufreger der letzten Woche hat Dieter Bohlen gesorgt (OMG, dass dieser Name jemals in meinem Blog auftauchen würde, hätte ich nie gedacht).
Was war passiert?
In irgendeiner dieser dümmlichen Fernsehshows hat Bohlen ein fünfjähriges Mädchen gefragt, wo es denn herkommt. Das Mädchen hat geantwortet “aus Herne”. Das hat ihm aber als Antwort nicht ausgereicht, da das Mädchen offensichtlich nicht “biodeutsch” aussah. Er hat immer weiter nachgebohrt und das Mädchen hat gar nicht verstanden, was der Mann von ihr eigentlich wollte.
Interessant daran finde ich, dass hier zwei Menschen völlig aneinander vorbei geredet haben. Das Mädchen hatte natürlich vollkommen korrekt geantwortet – es kam aus Herne. Was beide aus sehr unterschiedlichen Gründen nicht verstanden haben, ist dass er eigentlich etwas anderes wissen wollte, als er gefragt hat, nämlich “welche ethnische Herkunft hat Deine Familie”. Bohlen scheint diese Abstammungsfrage sehr wichtig zu sein und er hat nicht verstanden, dass er die falsche Frage gestellt hat. Dem Mädchen ist ihre ethnische Abstammung völlig egal – möglicherweise hätte sie die Frage nicht mal beantworten können, wenn Bohlen sie korrekt gestellt hätte und sie kannte dieses “um die Ecke fragen” noch nicht.
Das peinliche daran ist, dass Bohlen einfach nicht die Kurve gekriegt hat. Andrerseits – Bohlen ist von Anbeginn seiner Karriere für mich der Inbegriff des Peinlichen. Also was soll’s?
Was geht mich Dieter Bohlen an?
Blöd an sowas ist aber, dass man auch im echten Leben leicht falsch verstanden werden kann, wenn man wirklich wissen will, woher jemand kommt. Mir ist neulich das Folgende passiert:
Ich war auf einer Geburtstagsfeier eingeladen. Die Anwesenden waren zu 2/3 “biodeutsch”. Ein vielleicht nicht ganz unwichtiges Detail ist, dass es sich durchweg um gut ausgebildete und in der Welt herumgekommene Menschen handelte. Das wurde spätestens nach der Debatte um die Stadt, in der man am liebsten arbeiten würde klar. Denn hier ging es nicht um Berlin, Hamburg oder München, sondern um Berlin, Zürich, London, Rom, San Francisco oder Tokyo.
In dieser Umgebung kam ich mit einer charmanten jungen Dame ins Gespräch. Sie sah asiatisch aus, aber ihr astreines, fehlerfreies Deutsch und das ganze Verhalten machte eindeutig klar, dass sie in Deutschland aufgewachsen war. Irgendwann griffen wir noch einmal die Städtefrage auf. Ich habe gesagt, dass ich in Hannover aufgewachsen bin und mir mit Berlin am Anfang sehr schwer getan habe. Sie meinte, über Berlin kann sie noch nicht so viel sagen. Sie komme nicht von hier, sondern sei erst seit ein paar Monaten in der Stadt.
Und dann habe ich einfach gefragt: “Und wo kommst Du her?”
Das hatte ich kaum ausgesprochen und dachte mir “Ach Du Scheisse – hoffentlich versteht sie das jetzt nicht falsch”. Diese Frage zielte nämlich NICHT auf ihre ethnische Abstammung. Das hätte ich in der Situation einfach jeden gefragt.
Zu meiner Erleichterung hat sie einfach geantwortet “Aus Bielefeld”.
Ich dachte dann nur “Danke, Du hast mich genau richtig verstanden”. Auf die üblichen flachen Bielefeld-Witze habe ich selbstverständlich verzichtet.
Ich habe lange nichts mehr im Blog von mir lesen lassen. In den letzten drei Monaten ist bei mir recht viel passiert. Das bedeutet einerseits, dass ich eigentlich viel zu schreiben gehabt hätte. Es bedeutet aber andererseits auch, dass ich dazu kaum Zeit hatte und ehrlich gesagt auch keine rechte Muße. Der Dezember wird hoffentlich ein wenig ruhiger. Daher hole ich in nächster Zeit ein paar Themen nach. Den Anfang wird ein etwas längerer Artikel zu einem Kurzurlaub in London machen.