Ein Geburtstag lieferte den Anlass zu einem zweitägigen Ausflug nach Rostock. Natürlich war ich schon etliche Male dort oben an der Küste: Von Kühlungsborn und Heiligendamm bis Fischland / Darß / Zingst. Immer links oder rechts an Rostock vorbei oder schnell durch bis nach Warnemünde, aber niemals in der Stadt selbst.
O.K., Warnemünde ist technisch gesehen ein Stadtteil von Rostock – fühlt sich aber nicht so an. Mein Eindruck war immer, dass die Stadt nur aus Schnellstrassen und DDR Plattenbauten entlang der Warnow besteht und tatsächlich stimmt das auch für große Teile der Stadt.
Aber das ist eben nicht alles und ich habe nun eine sehr schöne Seite kennengelernt.
Rostock ist im Jahr 1283 der Hanse beigetreten und war daher über Jahrhunderte eine blühende Handelsstadt. Zwar wurden während des zweiten Weltkriegs weite Teile der Stadt zerstört, aber die verblüffend große Altstadt hat immer noch viele schöne Ecken und historische Gebäude – teilweise sogar aus dem 14. Jahrhundert. Zudem sind noch Teile der Stadtmauer und mehrere Stadttore erhalten.
Ein Highlight für mich sind die beiden noch erhaltenen Bastionen vor der Stadtmauer an der südwestlichen Seite der Altstadt. Auf der Karte kann man noch die typischen, zackigen oder Rondellartigen Grundrisse der Wallanlagen erkennen. Sie sind auch noch immer von einem wassergefüllten Wallgraben umgeben. Im Gegensatz zum 17. Jahrhundert ist die Anlage aber mit großen Bäumen bewachsen und bildet so einen idyllischen Stadtpark. Trotz des Bewuchses kann man aber noch immer deutlich die enormen Höhenunterschiede von bis zu 20m sehen. Kaum vorstellbar, welch unglaublicher Kraftaufwand der Bau dieser Anlagen ohne Maschinen seinerzeit gewesen sein muss.
Heubastion und Wallgraben – früher Verteidungungsanlage, heute Park
Ich war ohnehin etwas erstaunt, daß es in der Altstadt im Gegensatz zum Umland ganz und gar nicht flach ist.
Und sehr schön ist, dass die Altstadt jenseits der Einkaufsstraße tatsächlich bewohnt wird. Es ist kein reines Shopping / Kneipen / Museums- / Touristenbespaßungs- / Eventdingens, sondern richtige Stadt mit einer Gebäudemischung aus jeder Epoche seit dem 14. Jahrhundert, die ich als sehr angenehm empfinde. Selbst den paar DDR Plattenbauten merkt man an, dass sie in Form und Proportion eingepasst wurden, was seinerzeit vermutlich mit harten Bandagen politisch erkämpft werden musste.
Es gibt in der Altstadt viele schöne und besondere Ecken. Die Nicolaikirche (ab 1230) fiel mir auf, weil es einen Gang gibt (Schwibbogen) , mit dem man quer unter dem Kirchenschiff hindurchgehen kann. Noch ungewöhlicher: Im Dachstuhl sind auf mehreren Etagen Wohnungen (für Kirchenmitarbeiter) untergebracht und im Turm sind Büros (der evangelisch Lutherischen Kirche). Am kuriosesten ist jedoch, dass der Umbau zu DDR-Zeiten in den 1980er Jahren durchgeführt wurde – und das Geld dafür aus Westdeutschland kam, aber das ist eine etwas längere Geschichte.
Zwei Tage sind kurz. Was fiel mir sonst auf?
Mir war nicht bekannt, dass das Kreuzfahrtunternehmen AIDA seinen Firmensitz in Rostock hat.
Die Tourismusabgabe der Stadt ist mit €3,70 pro Tag recht happig, zumal der An- und Abreisetag jeweils voll zählen (also 3 x €3,70 für die zwei Tage). Immerhin ist die ÖPNV Nutzung dabei eingeschlossen – nur habe ich das nicht gebraucht.
Und wenn ich schon mal beim Geld bin: Auf der Hinreise bin ich von Berlin zunächst nach Warnemünde und habe mich vom Navi meines Autos einlullen lassen. Das dumme Ding hat mich tatsächlich östlich der Warnow langfahren lassen. Und plötzlich stand ich ohne Wendemöglichkeit vor dem Warnowtunnel – der einzigen mautpflichtigen Strasse in Deutschland! Also erst mal auf den Standstreifen, Geld suchen und dann die völlig unnötigen €4,10 zu bezahlen.
Das Parkhaus am Rande der Altstadt, in dem ich mein Auto stehen ließ,war auch etwas hinterhältig. Bis 45 min darf man umsonst parken, danach kostet es Geld. Max. Tagessatz: €10,-. Eigenlich sehr fair – nur gibt es keine Schranke und somit auch keinen Parkschein. Man muss das einfach wissen und sich einen entsprechenden Ausweis besorgen, weil tatsächlich streng kontrolliert wird.
Und wenn ich schon mal beim Auto bin – in der Überschrift habe ich ein kleines Wortspiel versteckt. Ich bin nämlich nicht nur durch Rostock gestromert (= “ziellos geschlendert”), sondern auch die komplette Strecke hin- und zurück gestromert (= “elektrisch gefahren”). Meinen Benziner habe ich durch ein E-Auto ersetzt und das war die erste etwas längere Fahrt. Aber dazu schreibe ich separat.
Den Satz mit ungläubigem Blick habe ich mir neulich auf dem Weg ins Büro eingefangen. Wer mir auf Facebook folgt, kennt die Geschichte bereits. Für mich war das Anstoß zu diesem Artikel. Ich hätte ihn auch so betiteln können:
Von Fahrrädern auf der Autobahn, Händen auf dem Asphalt und meiner Allergie gegen den Begriff “Verkehrswende”.
Am ersten Juni Wochenende habe ich in Berlin an zwei interessanten Veranstaltungen zum Thema “Verkehr” teilgenommen. Samstag habe ich das Festival für elektrische Motorräder Reload.Land besucht, mich informiert und Probefahrten unternommen. Darüber habe ich bereits den Artikel “Das leiseste Motorradfestival der Welt: Reload.Land” geschrieben.
Von Fahrrädern auf der Autobahn
Am Sonntag Morgen habe ich mich auf mein Fahrrad geschwungen und bin bei der ADFC Sternfahrt mitgefahren. Das ist eine seit mehreren Jahren stattfindende, angemeldete Demonstration, bei der sichere Infrastruktur für Radfahrer gefordert wird. Die Forderung halte ich für sehr vernünftig, habe aber noch nie an der Sternfahrt teilgenommen.
Ich habe immer nur am Rande mitbekommen, dass das kein guter Tag ist, um sich ins Auto zu setzen und einen Sonntagsausflug zu machen. Auf 20 verschiedenen Strecken mit insgesamt 1000 km Länge fuhren die Demonstranten aus allen Himmelsrichtungen zum Großen Stern im Tiergarten in der Mitte Berlins. Ein Teil (8,5 km) der Strecke führt auch über den südlichen Stadtautobahnring A100 und über die Avus A115 (11,5 km). Ich hatte mich immer gefragt, weshalb denn nun ausgerechnet über die Autobahn gefahren werden muss.
Jetzt weiß ich es.
Zum Einen natürlich wegen der Symbolik und zum anderen werden am Dreieck Funkturm alle Routen zusammengeführt und 50.000 Radfahrer brauchen Platz.
Viel Platz!
So viel Platz, dass selbst die sehr breiten Berliner Hauptstrassen zu eng sind. Lediglich die Stadtautobahn und die Ost-West Achse Bismarckstr. / Straße des 17. Juni sind breit genug für diese Massen. Und trotzdem kam es immer wieder zu Staus. Auf der Autobahn 15 Minuten im Stau zu stehen ist nichts ungewöhnliches. Auf der Autobahn mit dem Fahrrad 15 Minuten im Stau zu stehen, allerdings sehr wohl.
Ich fühle mich generell unwohl in Menschenmassen, aber die Veranstaltung war ruhig, friedlich, super organisiert. Die Polizei sperrte die Straßen mit ihren Einsatzwagen und Motorrädern. Und auch die Fahrradstaffel war dabei. Es gab Gott sei Dank nur wenige Leute, die mit lauter Musik unterwegs waren. Und wenn, war es kein Problem, Abstand zu gewinnen. Natürlich hat ein Scherzkeks genau in dem Augenblick “Autobahn” von Kraftwerk (1974) gespielt, als wir in Tempelhof auf die A100 aufgefahren sind. Das Stück dauerte mit 22 Minuten ungefähr so lang, wie die Fahrt von der Auffahrt Tempelhofer Damm bis zur Abfahrt Messe am Dreieck Funkturm.
Wer war dabei? Alle!
Was die Sache angenehm genmacht hat: Es waren alle da. Jede Altersklasse, jedes Geschlecht, Szenetypen, Familien mit Kindern, Rentner auf Torenrädern, Sportler auf Rennrädern, Jugendliche auf Mountain Bikes, die Wheelies machten, Rocker auf vermutlich selbstgebauten Chopper-Fahrrädern im Harley-Stil, Typen auf allen möglichen Arten von Lastenfahrrädern und, und, und. Ein totaler Querschnitt durch die Gesellschaft auf jeder denkbaren Art von Fahrrädern.
Mein Fazit: Das ist eine ganz coole Demo, die bereits optisch klar macht, worum es geht: Es gibt massenweise Radfahrer, die einfach mehr Platz brauchen, als sie jetzt bekommen. Außerdem hatte ich einfach eine gute Zeit und bei bestem Wetter eine nette und sichere 35 km Runde durch die Stadt.
Von Händen auf dem Asphalt
Am darauf folgenden Montag Morgen bin ich zum Büro gefahren – natürlich mit dem Fahrrad. Bei der Annäherung an die Kreuzung Frankfurter Allee / Warschauer Str. sah ich, wie ein quergestellter Bereitschaftswagen der Polizei die Fahrbahn blockiert und daneben eine Person auf der Fahrbahn saß, neben der ein Polizist kniete. Und ich dachte sofort “Oh nein, bitte keinen Unfall mit Fußgänger oder Radfahrer”.
Das war es Gott sei Dank nicht. Es klebten sich mal wieder Leute von der “letzten Generation” auf dem Asphalt fest. Zum X-ten Mal. Es war eine von wer weiß wievielen Aktionen, die seit Wochen massiv den Berufsverkehr (auf den Fahrbahnen) behinderte. Als ich vorsichtig über die gesperrte Kreuzung fuhr kam einer aus der Truppe mit Flyern in der Hand und stahlendem Gesicht auf mich zu. Als ich anhielt und nicht etwa den Flyer nahm, sondern reichlich genervt fragte, wann sie gedenken mit dem Mist wieder aufzuhören blickte ich in ein verwirrtes Gesicht und hörte den Satz “…aber wieso? Du bist doch auch mit dem Rad unterwegs?”
Ich hatte irgendwie keine Lust auf eine Diskussion, sondern wollte nur ins Büro. Möglicherweise war das falsch. Was ich vielleicht hätte sagen sollen:
“Ja, ich fahre mit dem Rad ins Büro. Aber nicht weil ich ein guter Mensch bin, sondern weil ich ein privilegierter Mensch bin.”
Ich wohne nur fünf Kilometer vom Büro entfernt. Das kann ich mir nur leisten, weil ich einen 25 Jahre alten Mietvertrag habe. Das Büro hat eine abschlossene Tiefgarage in der ich mein Rad an massive Stahlbügel anschließen kann. Wir haben hundert, weil 1/3 der Tiefgarage für Fahrräder reserviert ist. Welches Büro hat das schon? Für mich ist das Fahrrad einfach am praktischsten. Gefolgt von Motorrad, ÖPNV und erst ganz zum Schluss das Auto. Natürlich nehme ich da das Fahrrad.
Aber das war in meinem Leben auch schon mal deutlich anders. Damals, als es in Berlin nahezu unmöglich war, an vernünftig bezahlte Arbeit zu kommen, habe ich es mir nicht ganz freiwillig ausgesucht, 300km zu pendeln. Mehrere Male Hamburg, mal Hannover und die Krönung (im negativen Sinn) war es, mit dem Flugzeug nach Zürich zu pendeln.
Und weil ich das hinter mir habe, bin ich mir meines Standortprivilegs absolut bewußt. Ich verstehe, dass es andere eventuell nicht so gut getroffen haben. Junge Familien, die sich in der Stadt keine Wohnung mehr leisten können und an dem notorisch unzuverlässigen ÖPNV verzweifeln. Selbst innerhalb von Berlin kann man so ungünstige Wege zwischen zwei Orten haben, dass man das mit den Öffentlichen einfach nicht machen will. Die Stadt ist immerhin 900 qkm groß und hat mehr als 30 km Durchmesser.
Meine Allergie gegen den Begriff “Verkehrswende”
Dieses Nichtverstehen des “Aktivisten” ist leider typisch. Und es ist einer der Gründe meiner Allergie gegen den Begriff der Verkehrwende. Das scheint für die meisten einfach zu bedeuten “Die Autos müssen alle aus der Stadt raus und wir fahren Fahrrad”.
Natürlich ist es besser, wenn ich eine Fahrt mit dem Fahrrad mache, anstelle mich für die paar km ins Auto zu setzen. Aber diese extrem verkürzte Aussage halte ich für viel zu platt. Wenn das alles wäre, müsste die vorbildliche Fahrradnation Niederlande ja spürbar weniger CO2 Emissionen haben, als Deutschland. Schauen wir mal, was das Umweltbundesamt für das Jahr 2020 dazu sagt.
Deutschland: 8,8t CO2 pro Kopf Niederlande: 9,4t CO2 pro Kopf
“Aber die fahren doch alle Fahrrad????” Hmm, reicht wohl nicht.
Offensichtlich sind die Dinge doch etwas komplizierter. Es geht um Strukturen, auf die der Einzelne nur sehr begrenzt Einfluss hat. Es geht also darum, diese Strukturen zu ändern. Bessere Radinfrastruktur gehört dazu. Aber die rosa Elefanten im Raum, über die niemand redet sind Flächennutzung, Bodenmarkt und Arbeitsmarkt. Und weil der Artikel schon recht lang ist, höre ich an dieser Stelle auf und schreibe meine Bedenken in eine Folgeartikel. In der Hoffnung, dass das für die Eine oder den Anderen ein “Cliffhanger” ist.
Sonntag. Anstatt des angedrohten Dauerregens bleibt der Tag trocken und sogar die Sonne lässt sich hier und da blicken. Also rauf auf das Fahrrad und gemütlich durch die Stadt treiben lassen. Dabei habe ich unter anderem am Potsdamer Platz und bei einer Galerie in Friedrichshain halt gemacht. Das verlief etwas anders als gedacht. Ich erzähle mal chronologisch rückwärts.
Feine Kunst
Zum Abschluss der kleinen Berlinrundfahrt machte ich halt um den Projektraum in der Alten Feuerwache an der Weberwiese in Friedrichshain zu besuchen. Dort war die Ausstellung “Eigenleben” von Katrin Wegemann zu sehen. Ich war eigentlich gekommen, um die Zeichnungen zu sehen. Umso erstaunter war ich dann von der Qualität der Keramikarbeiten. Die stellten für mich die durchaus guten und ansprechenden Zeichnungen in den Schatten.
Möglicherweise bin ich da meinem eigenen Vorurteil etwas erlegen. Keramik ist für mich emotional vorbelastet: Werkunterricht in der Schule, Töpferkurse in der Toskana für Frauen mittleren Alters auf Selbsterfahrungstrips, usw.
Davon ist hier gar nichts zu merken. Das hier sind durchwegs ästhetisch ansprechende und handwerklich hochwertige Kunstwerke. Schön, wenn man über die eigenen Vorturteile stolpert und positiv überrascht wird.
Geistloser Kommerz-Shice!
Mein erstes Ziel war der Potsdamer Platz. Dort findet zur Zeit mal wieder die Berlinale statt. Von den verschiedensten öffentlich-rechtlichen Medien stehen dort ganze Karawanen von Lastwagen mit Übertragungstechnik und sonstwas herum und allerlei wichtige Leute scheinen dort auch rumzulaufen.
Nicht dass mich das im geringsten interessiert.
Ich lebe seit 37 Jahren in Berlin ohne auch nur ein einziges Mal auf der Berlinale gewesen zu sein oder aktiv das Programm gelesen oder die Berichte verfolgt zu haben. Der ganze Rassel lässt mich völlig kalt.
Also Potsdamer Platz.
Als ich 1986 nach Berlin kam war das eine Wüste, die durch Mauer und Todesstreifen durchtrennt war. Da war nichts. Dort wollte man nicht hin.
Nach der Wiedervereinigung 1996 war es die größte Baustelle Europas mit einer Baugrube, in der man ohne Probleme eine Kleinstadt versenken könnte. Technisch spannend, ansonsten nur nervtötend.
2006 Gab es dort hochmoderne Büroflächen, mehrere Kinocenter (u.a. eines, in der unsynchronisierte Originalversionen liefen), und in den Potsdamer Platz Arkaden einige Läden, in denen ich gerne eingekauft habe. Ich war alle paar Wochen mal dort.
Nochmal zehn Jahre später – 2016 – habe ich selber im ehemaligen Debis-Hochhaus gearbeitet. Ich habe es gehasst. Die Büroflächen waren laut, die Klimatechnik hat 50% der Zeit nicht funktioniert, im Shoppingcenter waren nur noch Läden, die ich nicht mehr interessant fand, Mittags gab nur minderwertiges Fast Food und der Verkehr morgens hin und abends zurück war die Hölle – und zwar gleichgültig, ob ich Bus, U-Bahn, S-Bahn oder Moped benutzt habe. Dann hat auch noch die Mall of Berlin eröffnet und der ganze Bereich Potsdamer Platz war im ökonomischen Sturzflug. Irgendwann wurden die Arkaden dann geschlossen.
Jetzt – Anfang 2023 – haben die Arkaden nach Totalumbau wieder eröffnet. Ich las, dass irgendein amerikanischer Investor ein neuen Konzept hatte – unter anderem mit einem neuen Gastronomiebreich. Das wollte ich mir ansehen.
Wie ich oben schrieb, bin ich nicht ganz frei von Vorurteilen. Was ich für völlig in Ordnung halte, so lange ich die hin und wieder auch überprüfe.
Ich habe ein ambivalentes Verhältnis zu den USA. In manchen Dingen halte ich die USA für brilliant, in vielen für hemdsärmelig und in anderen für völlig inkompetent. Stadtplanung und Gastronomie zähle ich auf jeden Fall in die letzte Kategorie. Von daher war meine Erwartungshaltung nicht hoch.
Kurz gesagt – es ist noch schlimmer, als ich befürchtet habe. Der Umbau ist nicht nur gestalterisch völlig ideenlos, sondern stellenweise sogar verblüffend disfunktional. Vor dem Umbau gab es verschiedene Stellen, an denen man zwischen UG, EG und 1.OG wechseln konnte. Jetzt gibt es zwar noch verschiedene “Löcher” durch die man nach unten gucken kann, aber habe ich nur noch eine recht versteckte Stelle gefunden, die ins UG geführt hat. Das ist definitiv erheblich schlechter als zuvor.
Und vom tollen Betreiberkonzept konnte ich nur so viel entdecken: Amerikanischer Betreiber bevorzugt amerikanische Marken. Mattel und TK-Max? Echt jetzt? Zwei Schrottmarken?
Zudem sind 3/4 der Läden noch nicht fertig, aber die Ankündigungen sind derart langweilig, dass ich keinen Grund sehe, hier jemals herzufahren.
Ach so – ich hatte übrigens Hunger und war durchaus nicht abgeneigt, im riesigen Gastro-Bereich etwa Geld zu lassen. Alleine die Tatsache, dass hier überall nur noch englisch angesagt zu sein scheint und kein Bargeld mehr akzeptiert wird halte ich für völlig inakzeptabel – aber dazu kommt noch, dass die Preise ungefähr das zweieinhalbfache der üblichen Berliner Preise betragen – und damit meine ich schon die neuen. Ich will einfach für einen zwischendurch-Happen nicht € 15,- bezahlen. Es waren zwar recht viele Leute dort – aber der Optik nach schätze ich 90% als Berlinale Funktionäre oder -Besucher. Schauen wir mal in ein paar Wochen noch mal nach.
Das ganze Ding ist für mich schlechteste Investorenarchitektur. Geplant von Leuten mit viel Geld, völligem Desintresse an Ort und Kultur und keinerlei sinnvoller Idee, außer unnützen Konzernen Spielfläche zu schaffen.
Grausam!
Ach so – und der Name: THE PLAYCE! Oh Gott! Für mich passender: THE SHICE!
Fazit:
Das Alexa ist und bleibt das hässlichste Einkaufszentrum Berlins – aber es funktioniert, weil es am richtigen Platz steht und offensichtlich mit genügend Läden bestückt ist, die die Leute interessieren.
Für die ehemaligen Potsdamer Platz Arkaden sehe ich eigentlich überhaupt keine Chance. Da ist nichts – da will man nicht hin. So schließt sich für mich der Kreis zu 1986: Die Gegend ist wieder untinteressante Wüste – bloß mit Gebäuden.
Vom Freitag, den 24. bis Sonntag, den 26. Juli fand in Berlin das Reload Electric Motorcycle Festival statt. Austragungsort war das Craftwerk in Berlin Lichtenberg; Eine Motorrad Selbthilfewerkstatt, ein Platz, an dem man seine zweiräderigen Schätzchen lagern kann, ein Coworkingspace und ein Treffpunkt von motorradinteressierten Menschen an dem man sich einfach mal auf einen leckeren Kaffe zum klönen treffen kann.
Dieser Ort ist nicht einfach irgendein Motorradclub von lauter bierbäuchigen alten Männer auf lauten Harleys. Die Mitglieder und Besucher sind wesentlich gemischter.
Zum einen sind hier verblüffend viele Frauen aktiv, die an ihren Maschinen schrauben. Das kommt sicher auch daher, dass u.a. Cäthe Pfläging vom Frauenmotorradclub The Curves zu den Betreibern zählt.
Zum Anderen handelt es sich bei aller Liebe zu alten Fahrzeugen nicht um eine Gruppe verbohrter Petrolheads. Das absehbare Ende des Benzinzeitalters und die Verkehrswende sind regelmäßig Thema in Gesprächen und die ersten Erfahrungen mit Stromantrieb haben hier auch bereits einige hinter sich (z.B. mit einem Umbau einer alten 50er Vespa auf Elektroantrieb oder indem trotz Skepsis, einfach mal ein E-Motorrad ausprobiert wird).
Da ist es nur folgerichtig, hier das Reload Festival abzuhalten, bei dem es ausschließlich um elektrisch angetriebene Zweiräder ging – vom stylischen Pedelec bis zum Hochleistungsmotorrad. Die Gelegenheit, möglichst viele unterschiedliche elektrische Zweiräder auszuprobieren, konnte ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Also warf ich mich trotz der schwülen Wärme in meine Kombi und fuhr mit meiner (benzingetriebenen) Suzuki zum Craftwerk. Der Tag verging zwischen BenzinStromgesprächen und diversen Probefahrten wie im Flug.
Kleine Stunteinlage
A propos Flug: Einen Abflug habe ich mir leider auch geleistet. Ich fuhr nach einer Probefahrt langsam auf den Hof (ca. 12 km/h), als mich jemand mit einem anderen Fahrzeug zu einer Vollbremsung zwang.
Split auf Pflaster, blockiertes Vorderrad – zack lag ich mit der Maschine auf dem Boden.
Ich wusste ja, daß der Untergrund etwas rutschig ist und hatte daher voll in die Hinterradbremse gelangt. Leider hatte das Fahrzeug statt ABS nur eine CBS Bremse, die auf Vorder- und Hinterrad gleichzeitig wirkt. Normalerweise wäre ich einfach mit blockiertem Hinterrad etwas gerutscht, aber nicht gestürzt. Das CBS bremst aber leider das Vorderrad mit und das rollte gerade über Split.
Shit!
Daher mein Rat, an alle, die sich ein Leichtkraftrad (125er) kaufen möchten:
Kauft NIEMALS eine Maschine ohne ABS! Die angebliche Alternative CBS ist das Schlimmste, was man überhaupt bauen kann!
Dank voller Schutzkleidung kam ich ohne Schramme davon und die Maschine hat auch keinen Schaden genommen. Aber so ein Stunt genau zwischen allen Besuchern hätte nicht sein müssen.
Ich schreibe aus Fairness nicht, welcher Hersteller das war. Ironischerweise hatten wir nämlich vor der Fahrt ein Gespräch über das fehlende ABS und mir wurde gesagt: “würden wir gerne einbauen, aber Bosch verkauft nicht an Kleinserienhersteller”.
Tja… :-(
Von diesem kleinen Zwischenfall abgesehen, war der Tag großartig. Ich beschreibe im Folgenden nicht chronologisch, sondern von klein nach groß.
E-Bikes / Pedelecs
Es waren zwei Hersteller von E-Bikes/Pedelecs auf der Reload: Urban Drivestyle aus Berlin und Super73 aus Kalifornien. Beide bauen E-Bikes mit fetten Rädern, die nach irgendwas zwischen 70er Jahre Bonanzarad und “Möchtegern-Motorrad” aussehen.
Je nach persönlichem Stilempfinden irgendwo zwischen total witzig bis völlig unmöglich. Als normales Fahrrad wären sie wegen des hohen Gewichts und der Körperhaltung extrem schwer zu fahren. Man bekommt aufgrund der Sitzposition nämlich kaum Kraft auf die Pedale. Dieser Style funktioniert nur, wenn der Motor kräftig mitschiebt. Neugierig war ich aber natürlich schon. Also machte ich mich zum Horst und fuhr zwei Modelle von Super73 in voller Motorradmontur zur Probe:
Eines aus der Z-Serie (Starrahmen, 30Kg “leicht”, ca. €2.700,-) und eines aus der R-Serie (Vollfederung, 36kg, ca. €4.600,-). Beide mit kräftigem Motor in der Hinterradnabe und Kettenschaltung, damit man kein Problem mit der Trittfrequenz bekommt.
Mein Fazit: Das ist das genaue Gegenteil von meinem E-Bike ( “Neuzugang im Fuhrpark: Ampler Curt” ). Ein extrem lässiger Cruiser zum entspannten Dahingleiten. Witzig sind die Dinger schon, aber meins ist das nicht. Man kann das tatsächlich fahren, aber nur mit Strom, sonst tritt man sich halb tot. Auch das weniger schwere Modell möchte ich nicht in den Keller tragen müssen. Müsste man aber auch nicht, weil der Akku bei allen Modellen entnehmbar ist.
Bei solch speziellen Gefährten ist aber auch klar, dass sich eine blühende customizing Szene gebildet hat. Beide Hersteller haben daher auch teil sehr lustige Umbauten gezeigt – zum Beispiel ein Super73 mit Surfbrett und eingebautem Sound-System.
Mopeds
Mit elektrischen Mopeds (also die Klasse bis 45km/h, die man mit dem Autoführerschein fahren darf), habe ich ja bereits etwas Erfahrung. Ich hatte ein Jahr lang eine Super Soco (“Weg vom Benzin (Teil 3) – Ich fange jetzt mal klein an“) und bin im letzten Jahr eine Sur-Ron Firefly zur Probe gefahren (“Der Ritt auf dem Glühwürmchen“). Eigentlich hatte ich nicht so viel Lust, solche Modelle zu fahren, aber die Brekr Model B (B für Bromfiets – also Moped) aus den Niederlanden sah so ganz nett anders aus, also gab ich ihr eine Chance.
Das kleine, leichte Maschinchen (79kg incl. Akku) fuhr sehr munter. Mir wurde gesagt, dass bei der Abstimmung alles was in der EU erlaubt ist, bis zum Maximum ausgereizt wurde (Der Nabenmotor leistet 4kW Peak, bei 2,5kW Nennleistung). Das war zu merken. Sie fuhr deutlich spritziger, als die Super Soco und dürfte mit ihrem 2kW/h Akku nach meiner Schätzung realistische 50-60km weit kommen. Ein Zweitakku ist auch möglich.
Interessant: Trotz Nabenmotor war ein deutliches Fahrgeräusch zu vernehmen – bis ungefähr 45km/h laut Tacho. Bei Höchstgeschwindigkeit war sie dann völlig lautlos. Der Preis ist mit €4.750,- nicht gerade ein Schnäppchen, aber die Maschine wird in den Niederlanden per Hand gebaut und ist wirklich toll abgestimmt. Wenn Moped – dann so.
Kleine Motorräder
Mit “klein” meine ich eigentlich, dass sie mit dem “kleinen” A1 Führerschein ab 16 Jahren gefahren werden dürfen. Die drei Modelle des taiwanesischen Herstellers Ovaobike sind alle A1 Modelle. Und sie sind alle klein – und damit meine ich diesmal die Größe. Sie sehen aus, wie normale, moderne Motorräder, aber in 2/3 Größe. Niedlich und irgendwie zwischen “richtigem Motorrad” und Honda Monkey. Aber ich konnte mit meinen 1,85 gut sitzen. Klein bedeutet übrigens nicht unbedingt leicht: 184 kg!
Ich habe das Spitzenmodell MCR-S ausprobiert, das mit 10,5kW Nennleistung und 22kW Spitzenleistung die A1-Klasse maximal ausnutzt. Es gibt da nämlich eine kleine Gesetzeslücke.
Die Klasse A1 bedeutet max. 125ccm Hubraum (hat ein Elektromotor nicht) und max. 11kW Nennleistung. Verbrenner haben eben diese 11kW (15PS) und fertig. Einige E-Motorräder haben 11kW (Dauer)Nennleistung – aber eine deutlich höhere kurzfristige Peakleistung, z.B. zum Überholen.
Mir ist das egal, weil ich die “offene” Klasse A habe und jede beliebige Waffe auf 2 Rädern fahren darf, aber für Anfänger ist das ein netter Trick legal schneller zu fahren. Allerdings dürften 16 Jährige i.d.R. nicht über das notwendige Budget von ca. €15.000,- verfügen.
Dafür bekommt man neben der Leistung, 2 Batterien mit zusammen 9,6kW/h Leistung, was in der Stadt angeblich für max. 210km gut sein soll. Hinten ein Zentralfederbein, vorne Upside Down Telegabel und immerhin 270mm Scheibenbremsen von Brembo – aaaaber – nur CBS und kein ABS. Das ist schlecht (siehe oben “kleine Stunteinlage”).
Die MCR-S macht den Eindruck eines etwas geschrumpften aktuellen Motorrad im “Streetfighter”-Look. Im Gegesatz dazu sieht die Bonfire des Münchener Herstellers Black Tea Motorcycles aus, wie ein kleines Motorrad von Yamaha oder Honda aus den 70ern, bei dem jemand den Antrieb ausgetauscht hat.
Die Maschine gibt es in zwei Versionen: als Moped mit einem Akku und max. 45km/h und als A1 Bike mit zwei Akkus. Ich habe das A1 Modell mit 11kW Nennleistung gefahren. Bei den 11kW bleibt es in diesem Fall auch. Also kein “E-Motorrad-Trick”. Das reicht immerhin für klassenübliche 100km/h. Die Bonfire X fährt sich wie eine normale 125er. Beschleunigung ist o.k, aber nicht weltbewegend.
Dafür sitzt man recht kommod und der Verzicht auf den Zulassungtrick und 100km Reichweite spart gegenüber der Ovaobike immerhin €9.000,- Die Bonfire X kostet in der A1 Version nur €6.000,-. Leider ist auch dieses Modell nur mit CBS Bremse erhältlich. Davon abgesehen – ein nettes Retro Bike zum attraktiven Kurs, das super ist für das Pendeln zur Arbeit/Uni/Berufsschule.
Große Motorräder
Nur einer der drei etablierten Hersteller von Elektromotorrädern war anwesend. Harley Davidson und Energica fehlten, aber dafür war Zero Motorcycles aus Kalifornien mit breiter Palette vor Ort. Ich konnte zwei Modelle, die ich interessant finde zur Probe fahren.
Das Modell FXE ist eine Maschine im Supermoto Stil, auf der man sehr aufrecht am breiten Lenker sitzt. Sie ist mit 135kg (“vollgetankt” – hahaha…) superleicht. Es gibt sie in einer 11kW Version für A1 Führerscheininhaber. Ich fuhr die ungedrosselte Version mit 33kW (44PS) Peak- und 15kW (21 PS) Nennleistung, für die man einen Führerschein der Klasse A2 (Ab 18 Jahren, bis max. 48PS) benötigt. Das hört sich zusammen mit der Höchstgeschwindigkeit von 132 km/h erst einmal nicht nach viel an, aber:
Holla – da geht die Luzi ab!
Nicht umsonst sind die sehr ordentlichen Pirelli Diabolo Rosso II Reifen aufgezogen. Ich bin nur im Eco Modus gefahren, war aber trotzdem in nullkommanix aus dem Stand auf … ähm – nun ja – deutlich zu schnell für die Stadt. Das gab mir dann gleich die Gelegenheit, die sehr guten Bremsen zu testen.
Neben der krassen Beschleunigung fand ich aber fast noch besser, wie unglaublich gut sich die Maschine langsam fahren ließ. Und damit meine ich den einstelligen km/h Bereich, den man mit Verbrenner Motorrädern nur mit viel Gewürge und schleifender Kupplung hinbekommt. Das liegt an dem feinfühlig dosierbaren Motorcontroller und an der aufrechten Sitzposition, die einem ein wunderbares Gefühl für die qurlige, wendige Maschine gibt. Der Preis liegt bei ca. €14.000,-
Nachdem ich mit breitem Grinsen im Gesicht zurückkam, meinte der freundliche Zero-Mitarbeiter, dass ich nach dem “kleinen” Modell jetzt ja mal die “große” ausprobieren könne.
Gesagt getan: Zero SR/F mit 40kW (54PS) Nennleistung und 82kW (110PS) Peak bei 227kg Gewicht.
Mein erster Eindruck: Auch hier sagen die Zahlen nicht viel. Trotz fast 100kg Mehrgewicht gegenüber der FXE, fühlte sich die Maschine nicht sonderlich schwer oder träge an. Mir kam sie sogar leichter als meine GSX-S 750 vor, obwohl das nicht stimmt. Der Schwerpunkt liegt eben sehr tief. Wenn die FXE schon gut abging – auf der SR/F ist kompletter Wahnsinn angesagt, wenn man so richtig am Stromgriff dreht. Ich denke, man ist hier nahe am physikalisch machbaren, was die Reifen noch auf die Strasse bringen können.
Aber auch hier beeindruckt mich neben der schieren Kraft vor allem, wie feinfühlig sich die Maschine fahren lässt. Da merkt man, dass Zero bereits 15 Jahre Erfahrung beim Bau von Elektromotorrädern hat. Kostenpunkt: je nach Ausstattung ab €20.000,- Um es kurz zu machen:
Rein von Fahrgefühl ist das für mich DER Benchmark aller Motorräder, die ich bisher fahren konnte.
Ich habe daraufhin noch etwas am Stand bei Zero rumgehangen und habe festgestellt: JEDE Person gleich welchen Alters oder Geschlechts hatte nach der Probefahrt Probleme den Helm abzunehmen, weil sich das Grinsen von einem Ohr bis zum anderen zog.
Und sonst so?
Es gab noch andere Hersteller mit ausgewachsenen Motorrädern, die ich jedoch nicht mehr gefahren bin. Die RGNT aus Schweden sieht im feinsten Retro-Stil recht edel aus. Als Cruiser im aktuellen Stil kommt die Alrendo daher. Den futuristischen Hingucker liefern Verge aus Finnland, durch das nabenlose Hinterrad mit Felgenmotor.
Offroad
Ich bin zudem noch zwei Maschinen ohne Straßenzulassung außer Konkurrenz gefahren. Hinter dem Fabrikgebäude war eine kurze Offroad Passage möglich, auf der man Strom geben konnte.
Schon seit einiger Zeit bietet der schwedische Hersteller Cake das Offroad Modell OR an. Das Design ist wie bei allen Modellen von Cake sehr technisch reduziert und sehr speziell, aber es hat etwas. Wenn die Maschine direkt vor einem steht, merkt man die extrem hohe Material- und Verarbeitungsqualität. Das Fahrzeug hat 11kW und satte 280Nm Drehmoment, wiegt aber nur unglaubliche 69Kg.
Heidewitzka – das war lustig!
Eine junge Dame hat ein paar Action-Aufnahmen von mir gemacht. Mal schauen wann ich die bekomme. Das Modell gibt es auch unter dem Namen Kalk mit Straßenzulassung. Es kostet zwischen €12.000 und €14.500,-
Im Anschluss konnte ich noch eine Runde auf der sehr minimalistischen Trevor aus Belgien drehen. Nun bin ich ja nicht allzu klein, aber auf dieses Bike musste ich fast raufklettern. Jetzt ahne ich, wie sich kleinere Menschen auf Motorrädern fühlen. Das Fahrzeug ist minimalistisch, roh, und verblüffend laut. Für den Ritt durch leichtes Gelände schien es mir sehr gut geeignet. Ob ich das auch auf der Straße haben möchte, weiss ich nicht so recht. Immerhin ist man gerade dabei, eine Strassenzulassung zu bekommen.
Und sonst?
Vor einiger Zeit habe ich auf dem Youtube Kanal vom Londoner Bike Shed Motorcycle Club einen Bericht über einen Prototyp von DaB aus Frankreich gesehen. Und siehe da – DaB war anwesend und hatte zwei Prototypen mitgebracht. Die charmante Mitarbeiterin sagte mir, dass man gerade dabei ist die Serienproduktion vorzubereiten und die Straßenzulassung läuft. Genaueres habe ich nicht erfahren, aber die Maschine im Supermoto Stil finde ich optisch schon mal recht ansprechend.
Vor einiger Zeit habe ich mehrere Videos über ein Umbaukit für alte 50er Vespa auf E-Antrieb gesehen. Jetzt gibt es das auch für Simson. Bin nicht sicher, ob das genial oder Frevel ist – aber es geht und man kann die alten Schätzchen auch dann weiterfahren, wenn es zu einem Fahrverbot für Zweitakter kommt, wie es in vielen europäischen Städten bereits existiert.
Von Videobloggern und Nicht-Videobloggern
Über so ein interessantes Event muss natürlich berichtet werden. Am besten in Ton und Bild. Ich war auch extra mit Helmkamera gekommen, aber leider habe ich scheinbar regelmäßig Start und Stopp der Aufnahme verwechselt. Zu Hause habe ich dann sehr lange Passagen gesehen, in denen ich den Helm durch die Gegend trage oder in irgendeine Ecke gelegt habe. Und jedesmal, wenn es zu einer Probefahrt ging, unterbrach das Video.
Bravo Herr Ollmetzer! Ganz großartig gemacht!
Also habe ich stattdessen diesen langen Artikel geschrieben und Videoaufnahmen den Profis überlassen. Das Ergebnis sind ein paar Sekunden Ruhm im Fernsehen, weil mich der RBB für die Abendschau interviewt hat.
Auch ohne mich wurde überall gefilmt. Neben dem RBB waren auch viele Videoblogger anwesend, die man kennen kann, wenn man sich für die Berliner Elektroszene interessiert.
Ein schöner Überblick über die Veranstaltung kommt von den Scooterhelden. Respekt – das war sehr schnell!
Ich habe den Videoblogger Rad City Berlin gesehen, der regelmässig mit seinen Super73 durch Berlin fährt und darüber berichtet. Da können wir sicherlich einen Bericht erwarten.
Gefilmt haben auch Paddy Lectric und der Zero Pionier mit denen ich mich auch über ihre Erfahrungen, inbesondere zum Thema “Wo und wie lade ich die Maschine” unterhalten konnte. Von den beiden wird es sicherlich Fahrvideos geben.
Und vermutlich gibt es noch mehr, die ich nicht erkannt habe.
Mein Fazit
Die Veranstaltung war klasse. Genau der richtige Rahmen, um sich einen Überblick über die E-Mobilität auf zwei Rädern oberhalb von Pedelecs zu informieren – und vor allem das Ganze auch selbst zu erfahren. Weil es genau darum geht – eigene Erfahrung. Es nützt nicht viel, irgendwelche technischen Daten zu lesen – man muss diese neue Technik spüren.
Dann wird einem nämlich klar, dass Verbrennungsmotoren ein Auslaufmodell sind. Nach einem ganzen Tag auf meist leise surrenden, wieselflinken Motorrädern und nach Hause dann wieder mit einer schweren Verbrennungskraftmaschine, bei der man laufend alle Gänge rauf und runter schalten muss, während einem bei 30 Grad auch noch die Abwärme des Motors die Beine grillt. Ich mag meine GSX-S 750 wirklich gerne – aber die Zukunft sieht anders aus.
Die Zukunft ist elektrisch – aber ist es die Gegenwart auch schon?
Wenn es nur um die Fahrzeuge ginge – ich hätte die Zero FXE oder die Cake sofort eingepackt und mitgenommen. Aber neben den recht hohen Preisen spricht leider häufig immer noch die Infrastruktur dagegen. Ich könnte zum Beispiel beide Maschinen nicht aufladen. Ich war mir auf dem Event mit allen Gesprächspartnern einig:
Für die große Tour quer durch Europa taugt es noch nicht und für Stadtbewohner ohne Garage und eigener Steckdose gibt es im Moment eigentlich nur zwei reale Szenarien.
Entweder das Fahrzeug hat herausnehmbare Akkus, die in der Wohnung aufgeladen werden. Das macht nur Sinn, wenn das Fahrzeug leicht und relativ langsam ist, weil die Akkus sonst zu schwer sind. Das funktioniert gut für ein Moped, für das man keinen großen Aktionsradius benötigt.
Oder man hat ein Motorrad mit großem und schweren Akku – und das Fahrzeug kann per Typ2 Steckdose wie ein Auto an Wallboxen oder Ladesäulen aufgeladen werden.
Also sollten wir unser Steuergeld nicht in Tankrabatten und €9.000,- Subventionen für überfettete Elektro-SUV stecken, sondern in Ladeinfrastruktur. Der Rest wird folgen. Übrigens: wie viele E-Motorräder könnte man aus dem Material für einen VW ID4 oder Tesla bauen? Darüber sollte man mal nachdenken…
Mich hat zwar unverständlicherweise mal wieder keiner gefragt, aber ich gebe trotzdem als Betroffener und Sachverständiger (s.u.) eine Stellungnahme zu dem CDU Vorschlag ab.
Die Unionsfraktion im Bundestag hatte vorgeschlagen, eine Steuer auf Pakete “zur Unterstützung der notleidenden Innenstädte” zu erheben. Das Ganze wird dann als gerecht verkauft, “damit Amazon auch seinen Beitrag leistet”. Netter PR Trick!
Amazon endlich richtig zu besteuern wäre traumhaft und längst überfällig. Leider geht es darum hierbei genau nicht.
Hier sollen Immobilieninvestoren ohne Gegenleistung mit Geld der Allgemeinheit gefüttert werden.
Zunächst einmal gibt es keine “leidenden Innenstädte” sondern einfach eine geänderte Realität. Die Menschen fahren weniger häufig in die Innenstadt um dort einzukaufen. Das sorgt für weniger Umsatz in den Geschäften, in der Folge Leerstand und nicht erfüllte Renditeerwartungen. Andererseits führt das zu Verkehrsentlastung.
Das klingt doch gar nicht mehr so dramatisch – außer natürlich für die Immobilienbesitzer.
Tatsächlich wäre eine solche Abgabe auf so vielen Ebenen falsch, dass man ganze Bücher damit füllen könnte. Ich wage mal eine Prognose für den Fall, dass dieser Mist durchkommt:
Alle zahlen in europäischen Onlineshops mehr.
Amazon wird weiterhin über fragwürdige Firmenkonstrukte legal kaum Steuern bezahlen.
Im Endeffekt wird Amazon dadurch gegenüber der hiesigen Konkurrenz weiter gestärkt.
Es kaufen trotzdem immer weniger Menschen in der Innenstadt ein, weil sich dieses Geschäftsmodell einfach überholt hat.
Besitzer von Immobilen in zentralen Lagen werden für den Leerstand teilweise entschädigt und haben so überhaupt keinen Grund mehr, Mieten nach unten anzupassen oder über neue Nutzungen nachzudenken.
Der überfällige Umbau der Innenstädte wird daher um Jahre behindert.
Nein, ich denke, dass dieser Vorstoß eine totale Katastrophe ist. Wieder einmal hat die CDU gezeigt, dass sie den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandel überhaupt nicht versteht und auch nichts gestalten will, außer den üblichen Verdächtigen die Fleischtöpfe zu sichern. Da dürfte der eine oder andere Interessenkonflikt eine Rolle spielen, vermute ich.
Gegenvorschlag
Keine neu Zusatzsteuer. Die werden nämlich wir alle bezahlen.
Stattdessen Schließung von Steuerschlupflöchern für internationale Konzerne. Kostet gar nichts, bringt Geld und verbessert die Wettbewerbsgleichheit der hiesigen Firmen.
Steuerliche Absetzbarkeit von Immobilienleerstand abschaffen. Das erhöht den Druck, überhöhte Renditevorstellungen zu korrigieren, neue Nutzungsformen zu ermöglichen und somit den überfälligen Umbau der Städte endlich in Gang zu bringen.
Den Immobilienmarkt für Auslandsinvestoren schließen. Massive Auslandsinvestitionen waren neben der EZB Politik ein Hauptgrund für die Preisexplosion auf dem Immobilienmarkt.
Klingt wie ein linkes Pamphlet? Macht nichts. Dafür bin ich auf anderen Gebieten stockkonservativ.
Betroffener und Sachverständiger?
In der Einleitung habe ich mich als “Betroffener und Sachverständiger” beschrieben. Das wollte ich im Nachgang noch kurz erläutern:
Betroffen bin ich (wie Ihr alle auch) als Konsument und Steuerzahler, dem mal wieder in die Tasche gegriffen werden soll.
Ich bin weiterhin als Bürger einer Stadt betroffen, die sich in den nächsten Jahren (mal wieder) massiv ändern wird. Ich habe starkes Interesse daran, dass das ausnahmsweise mal zu meinen Gunsten passiert, was in der Vergangenheit regelmäßig nicht der Fall war.
Sachverständig bin ich, weil ich durch mein Studium der Stadt- und Regionalplanung ein gewissen Grundverständnis in der Analyse der Zusammenhänge von wirtschaftlichen, sozialen, verkehrs- und standortpolitischen Fragen habe. Und zudem war ich als “Mitglied der großen IT-Familie” mit mittlerweile über zwei Jahrzehnten Berufserfahrung in Bereich Onlinebanken, Onlineshopping und Onlinecommunities gleichzeitig Treiber der großen Umbrüche, die wir jetzt erfahren.
Am 4.7.2020 werden Bundesweit mehrere Demos gegen die Einführung von Fahrverboten für Motorräder stattfinden. Eine davon auch in Berlin (Treffpunkt Platz des 4. Juli um 12:00). Ich werde dabei sein und vermutlich auch einen Bericht schreiben.
Vorher möchte ich Euch kurz erklären, worum es geht und weshalb ich die Proteste unterstütze.
Worum geht es?
Der Bundesrat hat am 15, Mai eine Entschließung zur wirksamen Minderung und Kontrolle von Motorradlärm an die Bundesregierung gestellt. In dieser Entschließung sind eine Reihe von Maßnahmen aufgeführt, für die die Bundesregierung eine gesetzliche Grundlage schaffen soll – bis hin zum Wochenendfahrverbot für Motorräder.
Was spricht dafür?
Die Initiative geht auf von den Bundesländern Baden-Württemberg und Nordrhein Westfalen aus. Dort eskaliert bereits seit längerem ein Konflikt um Motorradlärm in Gegenden, wie Schwarzwald und Eifel.
Diese normalerweise eher ruhigen Gegenden sind beliebte Ausflugsziele am Wochenende und wegen der landschaftlich schönen und kurvigen Strecken auch bei Motorradfahrern sehr beliebt. Unter den Motorradfahrern gibt es natürlich auch einige schwarze Schafe, die zu laut, zu schnell und zu Risikoreich fahren. Gerade bei schönem Wetter am Wochenende steigt dort also die Lärmbelastung und das Unfallrisiko stark an. Der Wunsch nach Sicherheit und weniger Lärm ist also gut begründet und das stellen die meisten Motorradfahrer auch gar nicht in Abrede.
Was spricht dagegen?
So berechtigt das Anliegen ist – der Forderungskatalog selbst ist an vielen Stellen juristisch und technisch problematisch und undurchdacht.
1. Forderung nach Reglungen, die bereits Gesetz sind. Ein Beispiel: Die Nutzung nicht zugelassener Auspuffanlagen, oder Manipulationen, wie die Entfernung des DB-Killers aus den Endschalldämpfern führen bereits heute zum Erlöschen der Betriebserlaubnis, zur sofortigen Stilllegung des Motorrades und zu empfindlichen Strafen, wie z.B. der Berliner Motorradblogger Kawaque feststellen durfte (siehe das Video “Warum mein Motorrad beschlagnahmt wurde“). Im Wiederholungsfall drohen Führerscheinentzug und MPU (“Idiotentest”). Die Strafen sind also hart genug – aber offensichtlich wird nicht genügend kontrolliert. Da nützt auch kein neues Gesetz.
2. Einführung einer “Sippenhaft” für Motorradfahrer. Die meisten Motorradfahrer halten sich an Regeln. Alleine schon deshalb, weil ihr Leben daran hängt. Natürlich gibt es einige “Knallchargen” und die sind auch durchaus nicht sehr beliebt in der Szene. Bei der Extremmaßnahme “Fahrverbot für alle Motorräder am Wochenende” stellt sich die Frage, wieso alle, die ordentlich fahren, für die wenigen Rowdies mit bestraft werden sollen? Auch hier würde es reichen, die Kontrolldichte zu erhöhen und ggf. neue Massnahmen wie “Lärmblitzer” einzusetzen.
3. Verletzung der Gleichbehandlung Gerade der problematische Ausflugsverkehr an den bekannten Hotspots besteht ja nicht nur aus Motorrädern, sondern auch gerne aus hochpreisigen Autos, die ebenfalls extrem laut werden können (AMG Mercedes, Audi R8 etc.).
Hier möchte ich auf den den Bericht “Konzertierte Kontrolle gegen Motorradraser” der nicht unbedingt Motorradfreundlichen Stuttgarter Zeitung vom 28. Juni hinweisen. An einem neuralgischen Punkt hatte die Polizei eine “Raserfalle” aus zwei kurz hintereinander aufgestellten Kontrollen eingerichtet um die Motorradfahrer, die zu laut und zu schnell sind zu erwischen. Tatsächlich fuhren jedoch alle Motorräder gesetzeskonform. Erwischt wurden getunte Autos.
Das zeigt das Problem: Motorräder bekommen generelles Fahrverbot und die anderen Brüllbüchsen dürfen weiter fahren? So einfach geht es also nicht. Auch hier helfen in erster Linie vor allem häufigere Kontrollen aller Verkehrsteilnehmer.
4. Forderungen die Sicherheitsprobleme aufwerfen. Es wird gefordert, dass Motorräder vorne ein Kennzeichen haben müssen. So etwas gab es früher bereits und wurde aus gutem Grund abgeschafft: Die Verletzungsgefahr bei einem Unfall durch ein dünnes Stück Blech im vorderen Bereich des Motorrades ist extrem hoch. Daher werden Kennzeichen am Heck angebracht.
Eine ebenfalls hochgefährliche Maßnahme sind Geschwindigkeitsbeschränkungen nur für Motorräder. Diese führen regelmäßig zu extrem dicht auffahrenden und drängelnden Autos, was für die Motorradfahrer lebensgefährlich sein kann.
5. Sonstiges Das ist nur eine kleine Auswahl an Problemen. Der Maßnahmenkatalog beinhaltet noch weitere juristisch und technisch heikle Punkte. So wie er dort steht, kann man ihn eigentlich nur ablehnen.
Soll also alles bleiben wie es ist?
Nein. Die Reduzierung der Lärmbelästigung und die Erhöhung der Verkehrssicherheit sind berechtigte Anliegen. Der Erhalt der individuellen Bewegungsfreiheit von immerhin 4,5 Millionen allerdings auch.
Was wir benötigen, sind sinnvolle und gut umsetzbare Maßnahmen.
Mehr Kontrollen anstatt schlechter Gesetze
Zunächst hilft es sicher, wenn die Einhaltung bestehender Gesetze und Vorschriften einfach besser kontrolliert und durchgesetzt wird, anstatt handwerklich schlechte Gesetze durchzudrücken. Davon haben wir in Deutschland schon mehr als genug.
Tricksereien bei Zulassungsverfahren verbieten
Es gibt aber auch das Problem, dass manche neu zugelassen Maschinen in den letzten Jahren im Schnitt real immer lauter geworden sind, obwohl die schärferen Grenzwerte auf dem Papier eingehalten werden. Das ist auf Tricksereien, wie Klappenauspuffanlagen zurückzuführen, die im Messzyklus die Maschine leise machen – und jenseits davon auf “Durchzug” schalten. Solche Tricksereien kennt man ja schon von den Deutschen Autoherstellern bei Abgaswerten. Gegen so einen Mist muss der Gesetzgeber ohne Frage vorgehen.
Sensibilisierung und Problembewusstsein
Außerdem müssen die Motorradfahrer und auch die Hersteller sensibler für das Thema werden. Mir ist bei der Suche nach einem neuen Motorrad aufgefallen, dass man sämtliche technische Daten der Maschinen von der Fahrwerksgeometrie bis zur Zündfolge der Zylinder nachlesen kann, aber niemand – wirklich kein einziger Hersteller – die Lautstärke der Maschine in die Datenblätter mit aufnimmt? Für mich war zu hohe Lautstärke tatsächlich ein K.O.-Kriterium (siehe “Probefahrt Suzuki GSX-S 750“).
Nicht zuletzt hat jeder Fahrer das Problem ein Stück weit selbst in der (Gas)Hand. Direkt am Ortsausgangsschild die Maschine aufzudrehen ist nicht sehr nett. Es ist ja nicht immer böser Wille, sondern häufig einfach nur Gedankenlosigkeit. Einige Gemeinden haben mit elektronischen Hinweistafeln zur Erinnerung, die auf die Lautstärke hinweisen gute Erfahrungen gemacht.
Wenn dieser Vorstoß etwas Gutes hat, dann, dass das Thema Lautstärke in der Motorradcommunity angekommen ist. Einige sind (wie immer in Gruppen) bockig und unbelehrbar, die meisten haben aber Verständnis. Einige versuchen sogar aktiv etwas zum Besseren zu wenden, wie zum Beispiel der Blogger DucStyle, der das Gefühl hatte, dass seine 20 Jahre alte Ducati Monster lauter als erlaubt war. Er hat daraufhin nachgemessen und den Endschalldämpfer leiser gemacht (“Vorbereitung Schalldämpfer neu dämmen + Infos zur Lautstärke“).
Mein Schlussplädoyer
Bestehende Vorschriften besser durchsetzen, gesetzliche Schlupflöcher schließen und das Problembewusstsein stärken. Dann funktioniert es auch mit dem Nachbarn.
Es wäre superschade, wenn ein tolles Verkehrsmittel, das erheblich weniger Umweltschädlich, als Autos ist und dazu noch richtig Spass macht, durch Borniertheit auf allen Seiten kaputt gemacht wird.
Vor ein paar Tagen habe ich einem Bekannten gegenüber meine extreme Unzufriedenheit mit der Berliner Regierung geäußert. Ein wichtiger Punkt ist dabei deren sogenannte Verkehrspolitik. Das wurde von ihm etwas überspitzt formuliert als Raunen eines “alten mental zurückgebliebenen Petrolhead (Autofanatiker)” missverstanden. Aber so einfach ist die Sache nicht.
Zugegeben – ich habe ein Auto und ich habe mir sogar gerade auch noch ein neues Motorrad gekauft. Andererseits habe ich in den letzten Jahren fast ein Vollbremsung in meinem Verkehrsverhalten hingelegt und meine CO2 Bilanz ganz erheblich verbessert – und zwar schon vor Fridays For Future.
Um meinen Missmut zu begründen, möchte ich hier ein paar Artikel veröffentlichen, die meinen Standpunkt etwas besser darlegen.
In diesem ersten Artikel blicke ich 30 Jahre zurück um meine damaligen Thesen zur Verkehrsentwicklung zu überprüfen.
Wie der Eine oder die Andere vielleicht weiß, habe ich in grauer Vorzeit (von Ende 80er bis Anfang der 90er Jahre) Stadt- und Regionalplanung studiert. Das ist ein Querschnittsfach, in dem neben Planungsrecht, Soziologie, Wirtschaftswissenschaften, Statistik und noch ein paar netten Nebenfächern u.a. auch Verkehrswesen gelehrt wird.
Stadt- und Regionalplanung in den 90ern
Und wenig überraschend fanden sich bereits damals sehr viele Lehrende und Studierende, die Autos zurückdrängen wollten. Die ganzen Diskussionen, die heute gesamtgesellschaftlich um die Verkehrswende geführt werden kenne ich bereits von damals. Inhaltlich ist seit damals nichts Neues dazugekommen, eher im Gegenteil. Die heutige Diskussion ist dagegen eher argumentativ flach und einseitig.
Damals gab es zum Beispiel recht originelle Äußerungen von Prof. Dr. Heinze, einem erklärten Autogegner. Der hat damals die Theorie vertreten, das Auto sei auf seinem Höhepunkt angekommen und würde demnächst wieder auf dem Rückzug sein. Aber nicht aus Umweltschutzgründen oder wegen knapper werdender Ressourcen, sondern weil das Auto als Produktkategorie in der Endphase seines Produktlebenszyklus sei. Das hat bei uns zu erstaunten Blicken und hochgezogenen Augenbrauen geführt. Interessanterweise konnte er seine Theorie anhand von historischem Zahlenmaterial gut begründen. Ich denke er lag um 20 Jahre daneben, hat aber prinzipiell Recht gehabt. Gleichzeitig hat er aber auch den Satz gesagt:
“Das Hauptproblem am Auto ist nicht, dass es so schlecht ist, sondern dass es so verdammt gut ist”.
Er meinte damit natürlich das extrem breite Einsatzspektrum von “Wochenendeinkauf” über “zur Arbeit pendeln” und “die Tochter zum Reitunterricht und die Gartenabfälle zur Stadtreinigung bringen” bis hin zu “mit der Familie in den Urlaub fahren”, das so kein anderes einzelnes Verkehrsmittel bietet.
Dieses Beispiel zeigt, dass damals sowohl offen, als auch fachlich fundiert diskutiert wurde. Grundlage waren massenhaft Daten zum Verkehrsverhalten (Anzahl, Dauer und Distanz von Ortswechseln) wirtschaftliche Daten, Freizeitverhalten, Strukturwandel, Steuerrecht und öffentliche Haushalte und noch etliche weitere Punkte, die in der aktuellen Diskussion leider völlig unter den Tisch fallen.
Wir hatten damals jedenfalls sehr intensive und leidenschaftliche Diskussionen. Am Ende einer solchen Diskussion ging allen ein bisschen die Puste aus und als alle ruhig waren, habe ich die Runde etwas aufgemischt und zur allgemeinen Verblüffung die folgenden Thesen aufgestellt.
Meine drei Thesen zur Verkehrsentwicklung von 1990
Egal was wir für richtig halten – die Menschen werden noch mehr Auto fahren müssen als zuvor. Um den motorisierten Individualverkehr zurückzudrängen, ist es notwendig, dass die Menschen wieder kürzere Wege zurücklegen, die dann einfacher zu Fuß, per Fahrrad oder per ÖPNV zu bewältigen sind. Das wird jedoch nicht passieren, weil die Zwänge durch den Immobilen- und Arbeitsmarkt beständig für das Gegenteil sorgt: Die Wege werden immer länger, die Bewegungsmuster werden immer komplexer.
Öffentliche Verkehrsmittel werden nicht ausgebaut werden. Um die Menschen aus dem Auto zu holen müssen öffentliche Verkehrsmittel stark verbessert werden: Netzabdeckung, Frequenz, Sicherheit und Sauberkeit. Das würde sehr viel Geld kosten, aber dieses Geld wird nicht bereitgestellt werden. Selbst wenn der motorisierte Individualverkehr zurückgehen sollte, werden die öffentlichen Verkehrsmittel dann erst recht nicht ausgebaut werden, da dann ja keine Konkurrenz mehr zu befürchten ist.
Die umweltfreundliche Alternative zum Auto heißt zu Hause zu bleiben Eisenbahn und ÖPNV sind zwar bei hoher Auslastung im Schnitt weniger umweltschädlich als Autos, aber absolut gesehen sind sie natürlich ebenfalls umweltschädlich. Die wirklich umweltfreundliche Alternative zum Auto ist also schlicht überhaupt nirgendwo hin zu fahren.
Reality Check
Wie die Zeit gezeigt hat, lag ich mit meinen Prognosen gar nicht mal so sehr daneben.
Bei Punkt 1 und 2 sogar noch zu optimistisch. Die Jobkrise der 90er hat zu einer Explosion der Fernpendelei geführt und in den 90er und 2000er Jahren wurde der öffentliche Verkehr nicht nur nicht ausgebaut, sondern sogar noch weiter kaputt gespart.
Und zu Punkt 3 kann ich nur sagen, dass das die aktuell von den Grünen verfolgte Verkehrspolitik zu sein scheint. Der ÖPNV wird nicht ausgebaut, aber der Individualverkehr soll derart gegängelt werden (Rückbau der Infrastruktur plus Ökosteuer, plus starke Erhöhung der Parkgebühren plus Citymaut), dass es fast einem Verbot von MIV gleichkommt.
Und zur angeblich so tollen Verkehrspolitik der Grünen habe ich damals bereits gesagt, dass es nur grün angemalter Klassenkampf ist – und zwar von der oberen Mittelschicht auf Kosten der Allgemeinheit. Das darzulegen benötigt etwas mehr Platz. Daher schreibe ich dazu noch einen separaten Folgeartikel.